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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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die nicht mehr war als ein zu Tode saniertes Fachwerkhaus mit drei Räumen und einer winzigen Küche. »Hier«, sagte Frau Schrader und öffnete eine Tür, die in ein fensterloses Nebenzimmer führte.
    »Ist das die Besenkammer?«, fragte David, der nicht ahnte, dass alles noch schlimmer kommen würde.
    »Das ist Ihr Ausstellungsraum.«
    »Sie machen Witze!« David blinzelte ins Dunkel. »Ich habe siebenundzwanzig Gemälde dabei und muss noch den Filmprojektor und die Leinwand für die ›Lobster-Performance‹ aufbauen. Wie stellen Sie sich das denn vor?«
    »In den beiden Haupträumen hängt noch Regina Riebsahls Geliebte Desdemona «, wies sie ihn zurecht. Sie roch ein wenig nach Schweiß.
    »Ich helfe Ihnen beim Abhängen.«
    »Eine großartige Künstlerin«, zischte Frau Schrader. »Verstehen Sie die Doppeldeutigkeit überhaupt?«
    »Großartig und Künstlerin?«, rätselte David und drehte den Kopf weg. Er mochte keinen Schweißgeruch, und weiblichen schon gar nicht.
    »Geliebte und Desdemona, natürlich.«
    »Hören Sie – ich bin den ganzen Weg aus Berlin gekommen, und ich will jetzt vernünftige Räume haben!«
    »Sie können zufrieden sein, dass Sie mit Ihrer Hummer-Hommage überhaupt am Enerkaka teilnehmen dürfen.«
    »Am was ?«, rief David.
    »Am N-R-K-K!« Sie reckte das Doppelkinn in die Höhe. »Neuruppiner Künstlerkreis. Ihre Bilder sind in der Märkischen Allgemeinen Zeitung erwähnt worden. Es hängen Plakate im Rathaus und in den Supermärkten. Der Volkshochschulkurs ›Figuratives Malen‹ wird kommen. Und der Bürgermeister auch. Wahrscheinlich. Aber seine Frau bestimmt.«
    »Großartige PR «, sagte David mit matter Stimme und fügte sich in sein handyloses, erfolgsfreies Nebenzimmer-Schicksal.
    Tim, der bemerkt hatte, dass auch das Toilettenpapier zur Neige gegangen war, schickte derweil weitere SMS an das Handy im Neuruppiner Kanalisationssystem. Eine Nacktschnecke hatte es sich auf der Tastatur bequem gemacht und zeigte sich sowohl vom grünlichen Glimmen als auch von Davids Gestocher mit einem Astende unbeeindruckt. Das Handy versank tiefer im Schlick und kam nie wieder zum Vorschein.
    ▶◀
    Der Erfolg von »Hummer-Hommage« blieb aus.
    Der Bürgermeister kam nicht, seine Frau auch nicht. Eigentlich war überhaupt niemand gekommen, bloß zwei Cousinen von Hannelore Schrader, die dem Sekt zusprachen und sich besonders für die Gemälde von Regina Riebsahl interessierten.
    »Ihre Hummerbilder dürfen eine Woche lang hängen bleiben«, hatte Schweineaugen-Schrader gesagt. Betrübt war David mit seinem Laster und den in der Hitze verdorbenen Rogacki-Fischhäppchenplatten zurück nach Berlin gefahren.
    Um Mitternacht traf er wieder im Atelier ein. Er hätte gern Tim von diesem höchst deprimierenden Tag erzählt, aber der war nicht da. Dafür lag jede Menge Müll herum und vermischte sich mit dreckiger Wäsche. Es roch nach Zigarettenqualm (rauchig) und verschüttetem Bier (sauer) und nach vergammelten Blumen (faulig). Wie malt man Gerüche, fragte sich David und ging duschen. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, fegte leere Bierbüchsen auf den Fußboden und zog Bilanz:
    Kein verkauftes Bild:0,00 Euro
    Rogacki-Häppchen :175,00 Euro
    Sekt :120,80 Euro
    Ein neues Handy brauchte er auch, und wenn er noch die vielen Ölfarben, Pinsel, Leinwände und eigens angeschafften Hummer mitrechnen würde (Allein Howard hatte achtundsiebzig Euro gekostet.) … aber das tat er lieber nicht. Stattdessen öffnete er den Kühlschrank, fand bis auf ein Stück ranzig gewordener Butter nichts und warf die Kühlschranktür wieder zu. Leer gefressen , dachte er. Er könnte jetzt ein wenig an seinen fauligen Blumen malen, doch er hatte keine Lust. Wo war Tim?
    Vielleicht kommt er nie wieder, dachte David hoffnungsvoll.
    Er wollte sich gern mal wieder mit einem erwachsenen Menschen unterhalten, der etwas Interessantes zu sagen hätte. Jemand, der vielleicht nicht über eine so beeindruckend definierte Bauchmuskulatur verfügte wie Tim, dafür aber vollständige Sätze sprach und intellektuell anregend war. Jemand wie … Theodor.
    Theodor hatte immer etwas zu erzählen gewusst.
    Theodor war schlau.
    Theodor hatte Humor.
    »Scheiße«, murmelte David, und kurz darauf gleich noch mal – »Scheiße« –, denn er hörte Stimmen im Treppenhaus. Kurz darauf schloss Tim die Tür auf und trat mit einem Gefolge betrunkener junger Männer ein, die im Atelier ausschwärmten wie ein Haufen übermüdeter Kleinkinder.

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