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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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bevor ich sie gedacht habe.«
    »Er kennt dich einfach gut.«
    »Zu gut.«
    »Das gibt’s nicht.«
    »Ich brauche Grenzen.«
    »Das sagtest du bereits.«
    »Ich meinte es auch so.«
    »Musst ja nicht gleich die Berliner Mauer wieder aufbauen, mein Junge.« Hertha lächelte ihn an. »Ein Maschendrahtzaun tut es vielleicht auch.«
    David trank schweigend sein Bier aus.
    »Wie war denn deine Ausstellung in Neu-Isenburg?«
    »Neuruppin. Nicht so toll.«
    »Waren viele Leute da?«
    »Geht so.«
    »Wieso nicht?«
    »Da hing ein Plakat auf dem Marktplatz, und ein anderes bei Aldi. Wie soll denn das funktionieren?«
    »Und nun?«
    »Weiß nicht.«
    »Willst du noch ein Bier?«
    »Ich muss los, Herthalein. Demnächst führe ich dich mal wieder aus. Ganz groß. Ins Adlon .«
    »Hast doch kein Geld.«
    Er hob sie ihn die Höhe und küsste sie auf beide Wangen.
    »Auf Wiedersehen, David.« Sie schloss die Wohnungstür hinter ihm. Dieses Hochgehebe muss ich ihm mal abgewöhnen, dachte sie, ging ins Wohnzimmer und blieb einen nachdenklichen Moment vor Hummer neben Kaffeekanne und Kandelaber stehen. Sie wollte gerade die leere Bierflasche vom Balkontisch abräumen, als es wieder an der Tür klingelte.
    »Hallo?«, rief sie in die Sprechanlage.
    »Theodor.«
    Sie drückte auf den Türöffner. »Hier geht’s ja zu wie in einem Taubenschlag«, begrüßte sie ihren Sohn, der kurz darauf eintrat.
    »Wieso?«
    »Hast du David nicht eben im Treppenhaus getroffen?«
    »Nein.«
    »Kann gar nicht sein.«
    »Ist aber so.«
    »Dann hat er sich wohl in Luft aufgelöst.«
    »Was wollte er denn von dir?«
    »Komm erst mal rein. Willst du ein Bier?«
    Theodor küsste seine Mutter auf den Scheitel. »Gott bewahre, hast du eine Fanta?«
    »Natürlich, mein Junge. Setz dich schon mal auf den Balkon.«
    Hertha schloss die Wohnungstür.
    Auf dem Weg nach unten hatte David Theodors Silhouette durch die Milchglasscheibe der Haustür erkannt und war panikartig die Treppen hinauf zurück nach oben gerannt (dank seiner Sneakers schnell und lautlos), war an Herthas Wohnungstür vorbeigeschossen, bevor sie sie für ihren Sohn öffnen konnte, und hatte atemlos vor Aufregung auf dem darüberliegenden Treppenabsatz innegehalten. Durch die Stäbe des Geländers spähte er nach unten und hielt die Luft an. Er hörte Theodors Schritte, gerade machte Hertha die Tür auf. »Hier geht’s ja zu wie in einem Taubenschlag.« Ganz langsam zog David seinen Kopf zurück. Wann hatte er sich das letzte Mal so gefühlt?
    1975.
    Hinter dem Sofa.
    Als er belauscht hatte, wie seine Eltern sich seinetwegen stritten. »Ich bin nur froh, dass ich Corinna habe«, hatte seine Mutter geflüstert. »Dieser Junge ist mir einfach zu viel. Mit dem stimmt irgendwas nicht. Er hat so eine Art.« Sein Vater hatte irgendetwas Irrelevantes gemurmelt, und die Mutter fuhr fort, auf ihrem Sohn herumzuhacken: »Du hast ja keine Ahnung, wie verkorkst er ist …«, und dann war David wie der Teufel aus der Kiste hinter dem Sofa hervorgesprungen und hatte fürchterlich weinen müssen. Das Mitgefühl seiner Mutter hatte sich in Grenzen gehalten. »›Der Lauscher an der Wand hört die eigne Schand‹«, hatte sie gesagt und ihn ins Bett geschickt. Und der Vater hatte nur tadelnd den Kopf geschüttelt und nichts gesagt. Gar nichts.
    Nun, fünfunddreißig Jahre später, überkam ihn wieder das lähmende Gefühl von damals. Seine jüngere Schwester Corinna hatte immer alles richtig gemacht, das war wohl ihr Geburtsrecht gewesen. Folglich hatte er immer alles falsch gemacht. Und so war es geblieben.
    David starrte auf das grün-graue Linoleum.
    »Natürlich, mein Junge. Setz dich schon mal auf den Balkon«, hörte er Hertha sagen, und die Tür ging zu. Davids Herz begann heftig zu schlagen. Er stand auf, schlich die Treppe hinab, näherte sich Herthas Wohnung und … legte sein Ohr an die Tür.
    »Aargh«, machte Theodor gerade. »Was ist denn das?«
    »Ein Gemälde von David. Er hat es mir geschenkt«, rief Hertha laut und deutlich aus der Küche. »Es heißt Hummer neben Kaffeekanne und Kerzenhalter .«
    »Kandelaber«, verbesserte David leise.
    »Es ist viel zu groß!«
    »Mir gefällt es so.«
    David lächelte Herthas Wohnungstür an.
    »Die Farben!«, hörte er Theodor meckern. »Direkt aus der Tube gedrückt!«
    Davids Lächeln erlosch.
    »Nun hör schon auf.« In der Küche klirrten Flaschen aneinander. Etwas raschelte. Wahrscheinlich die Tüte mit den Erdnussflips.
    »David nimmt sich viel zu

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