Ein Hummer macht noch keinen Sommer
hechelt dann immer so grässlich, dass ich Angst habe, er fällt im nächsten Moment tot um.«
»Wieso ist der Mops schon wieder bei dir?«, regte sich Theodor auf.
»David, Rudolf und Rosie sind am Wannsee. Aber ich wollte nicht mit, und einer muss ja auch auf den Hund aufpassen. Also habe ich den jungen Leuten Buletten mitgegeben und bin zu Hause geblieben.«
»Du lässt dich ausnutzen.«
»Unsinn. Ich mag Feivel. Wir sitzen hier ganz gemütlich. Im Fernsehen läuft eine lustige Talkshow, in der sich alle streiten, und ich lerne Französisch.«
»Warum denn?«
»Na ja. Das wollte ich eigentlich schon immer. Schließlich hätte ich beinahe einen Franzosen geheiratet.« Hertha seufzte. »Im dritten Stock ist die alte Frau Stabenow gestorben, und jetzt wohnt da eine Französischlehrerin, und ich habe mir gedacht, jetzt oder nie. Das ist doch Synchronizität, mein Junge, oder?«
»Bei einer Synchronizität«, widersprach Theodor, »handelt es sich um ein akausales, aber aufschlussreiches Zusammentreffen von Ereignissen …«
»Ist ja auch egal, was es ist«, unterbrach ihn Hertha. »Ich lerne jetzt jedenfalls Französisch. Comment tü va?«
»Mieux.«
»Wie bitte?«
»Besser, wie bereits gesagt.«
»Fein, bis später dann.«
Und schon hatte sie aufgelegt.
Theodor starrte den Hörer an. »Synchronizität?«, murmelte er gereizt. »Wie kommt sie denn darauf? Aber eigentlich … doch, das passt schon: ein inneres Ereignis, zum Beispiel eine Vision oder eine Idee, und ein zeitlich darauf folgendes äußeres Ereignis, das wie eine … Spiegelung als Antwort im Außen auf den inneren, seelischen Zustand wirkt …«
Wie eine weitere Antwort im Außen begann das Telefon, das Theodor immer noch in der Hand hielt, zu klingeln.
»Ja?«
»Hallo, Herr Silberstadt, mögen Sie lieber Pain au Chocolat oder Marzipan-Croissants?«
»Ähm.«
»Gut, dann kaufe ich beides und Aprikosentörtchen. Sie können schon mal Kaffee kochen, bis gleich.«
Es machte klick .
Wieso legten die Leute neuerdings eigentlich immer den Hörer vor seiner Nase auf? Wieso verhielten sich alle so respektlos? Was strahlte er aus, um so behandelt zu werden? Seufzend schlurfte Theodor in die Küche und nahm einen großen Löffel codeinhaltigen Hustensaft zu sich, obwohl er kaum noch hustete. Dann kratzte er festgebackene Pangasiusreste in den Mülleimer und gab heißes Wasser und viel zu viel Spüli in die Auflaufform. Es roch nach Zitrone. Ich sollte duschen, dachte Theodor, und mich rasieren. Und anziehen.
Er war gerade fertig, als es an der Haustür klingelte. Wenig später stand Natalie Schilling vor ihm, atemlos, beladen mit kleinen, braunen, fettfleckigen Tütchen. Ihre Augen strahlten. »Guten Morgen, Herr Silberstadt. Geht es Ihnen besser? Darf ich reinkommen, ich platze förmlich vor … Ungeduld, ach, alles ist so … Ich …« Sie verstummte und umarmte ihn.
»Stecken Sie sich bloß nicht an.« Theodor schob Natalie sanft von sich. Mit verklärtem Blick sah sie zu ihm auf. Wieder verströmte er diesen kernig-charmanten Duft. Sein zurückgekämmtes Haar war noch feucht. Wie hinreißend er aussah! Selbst seine rote, wundgeschnaubte Nase, die in diesem Zustand noch größer wirkte, konnte Natalies Begeisterung nicht schmälern.
»Treten Sie ein«, sagte Theodor, der es nicht mochte, so intensiv angeschaut zu werden. Ganz kurz kam ihm Feivel in den Sinn. Natalies Augen waren zwar katzenhaft und die des Mopses kreisrund, trotzdem war der starrende Ausdruck derselbe.
Wenig später saßen sie im Salon. Theodor schenkte Kaffee ein.
»Sie kommen jetzt wohl öfter?«, scherzte er und wunderte sich, dass Natalie hektisch an ihrem Blusenkragen herumzupfte.
»Hierher liebend gern.« Ihr Dekolleté blühte.
Wieso ist sie denn so nervös?, fragte sich Theodor. Dann begutachtete er die Croissants. »Die sehen ja köstlich aus«, murmelte er. »Es geht doch nichts über ein richtig gutes Croissant am Morgen, nicht wahr?«
»Herr Silberstadt, ich will nicht gleich mit dem Haus in die Tür fallen, aber …« Sie räusperte sich. »Ich muss Ihnen etwas erzählen.«
Schmunzelnd biss Theodor in sein Croissant, dass es nur so splitterte. »Ist es privater Natur?«, fragte er mit vollem Mund.
»Nein. Doch … Ja. Wie man es nimmt, von allem ein bisschen.«
»Das habe ich befürchtet. Könnte das Nicht-Private vielleicht bis morgen warten? Bis dahin bin ich wieder gesund, und Sie haben einen Termin um elf Uhr dreißig in der
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