Ein Hund mit Charakter
sich, den Tschutora nicht mag …«
»Er hat ihn zu mögen!« erwidert der Herr in giftigem Imperativ und wittert doch selbst in die Vergangenheit zurück, möchte sich Großvaters Geruch in Erinnerung rufen. Das bleibt natürlich ein frommer Wunsch, und weder Bitten noch gutes Zureden vermögen den Bann zu brechen, mit dem der verhaßte Gegenstand auf Tschutora wirkt. Die Dame läßt ihre Phantasie schweifen und riskiert die nicht ganz ernstgemeinte Mutmaßung, der Großvater könnte vielleicht nach Bär gerochen haben, und wie man weiß, ist Hunden nichts mehr verhaßt als Bären.
Der Herr verbittet sich persönliche Anzüglichkeiten dieser Art, denn nach einem Bären habe sein Großvater gewiß niemals gerochen. Noch eine ganze Weile geht es mit solchen Sticheleien über großväterliche Duftnoten zwischen den beiden hin und her. Tschutora, der doch am meisten darüber weiß, der auf Düfte und besonders auf Gerüche von Gegenständen spezialisiert ist, hört ihnen erregt zu und bellt von Zeit zu Zeit dazwischen. Als wollte er sagen: Was wißt ihr schon! In der Tat, was wissen wir schon darüber! Können uns nicht einmal diese einfältige Zwangsvorstellung erklären, die ein acht Wochen altes Hündchen gewissen Gegenständen gegenüber hegt.
Gut, das ist der Lehnstuhl. Aber warum hat er sich gerade die Ecke hinter dem Ofen im Eßzimmer als Versteck ausgesucht? In der Wohnung gibt es ja andere Öfen und Sofas genug, unter denen sogar ein ausgewachsener Kuvasz ausreichend Platz fände. Aber nein, für ihn muß es die verdreckte Ecke hinter dem Eßzimmerofen sein. Was versteckt er da unten? Theres behauptet, nichts Besonderes. Die Markknochen, die er ab und zu ergattert, schleppt er unters Sofa, die Spielsachen – den Vollgummiball, den ausgedienten Schuhlöffel aus Horn – straft er mit Verachtung. Wenn er von seinen kurzen Spaziergängen heimkehrt, führt sein erster Weg in diese Ecke hinter dem Ofen: Er legt sich dort nicht etwa hin, sondern drückt seine Nase im Sitzen an die heißen Kacheln und späht aus dem Versteck hervor. Seine Zeiteinteilung wie die ganze Lebensart des Hundes sind ungewöhnlich. Schon in den ersten Tagen zeigt sich, daß Theres, die ihn wirklich mit unbeholfener Leidenschaft ins Herz geschlossen hat, Tschutora draußen in der Küche mit allen möglichen und unmöglichen Essensresten überfüttert – statt Milch und Tee zu schlürfen, wird er nicht selten schon zum Frühstück mit Fischköpfen verwöhnt, was natürlich zur Folge hat, daß Tschutora ständig unter Darmkatarrh leidet. Die Dame verfügt, daß der Hund zukünftig um die Essenszeit das Zimmer nicht verlassen darf.
Es muß so etwas wie Schadenfreude einer Schicksalsgenossin sein, die Theres veranlaßt, die vorgeschriebene Speisenfolge des Hundes zu mißachten. Er soll nur fressen! Alles und von allem, was die da drinnen auch kriegen! Es dauert seine Zeit, bis Theres sich damit abfindet und begreift, daß Klassenkampf nichts für Hunde ist. Tschutora harrt also hinter dem Ofen aus, bis Theres den ersten Gang aufgetragen hat; erst wenn das Mädchen dann wieder hereinkommt, um die Teller zu wechseln, und keine Sekunde früher, krabbelt er langsam hinter dem Ofen hervor, wo ihn die Hitze trotz der Anspannung schläfrig gemacht hat; er gähnt, streckt sich, geht schleppenden Schrittes zum Tisch, setzt sich neben den Stuhl der Dame und heftet seinen Blick auf sie, ohne daß er bettelt oder sie bedrängt. Noch nie ist er vor dem Wechseln der Teller gekommen, aber auch nicht eine Minute später. So diktiert es ihm sein Stundenplan, seine Disziplin, keiner kann ergründen, welchen Zweck er damit verfolgt, was für eine Zeiteinteilung ihm dies auferlegt. Es kommt schon mal vor, daß ihn erst das Klappern der Teller aufweckt, dann kriecht er verschlafen, aber eilig und mit schlechtem Gewissen hervor, als hätte er sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht. Ernst und bedeutsam nimmt er seinen Platz neben der Dame ein, stellt den Kopf schief und blickt mit so wichtiger Miene zu ihr auf, als sei nun der Höhepunkt des Tagesablaufs gekommen, und ein außergewöhnliches Ereignis stünde bevor, bei dem man getrost auf ihn zählen dürfe.
Er ist jetzt noch so klein, daß sein Erscheinen in der großen Welt ein gewisses Mitgefühl erregt. Wie er auf den Straßen von Buda im Schneegestöber der Dame bei ihren Spaziergängen hinterhertrottet, wirkt er geradezu jämmerlich; ist mit viel Ernsthaftigkeit bemüht, jeden Schneeberg, der sich
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