Ein Hund mit Charakter
kahl, hysterisch und erbricht mit Vorliebe ungarische Kost, hüpft ständig herum wie ein besoffener Floh … Tschutora haßt ihn vom ersten Augenblick an, will nicht einmal in seine Nähe, er verkriecht sich hinter dem Ofen, schielt hervor und knurrt dieses Musterexemplar angelsächsischer Hundeerziehung an, wenn es sich mit Basedowblick und einsilbig in englischer Sprache blaffend anzubiedern versucht. Billy ist kaum sechs Monate alt und natürlich schon stubenrein. Tschutora ist das noch so wenig, ja auf so unbefangene Weise nicht, daß die Lady – die ungarische Wörter mit einer Art spanisch-englischem Akzent spricht und ständig eine auffallend lange Zigarettenspitze aus Elfenbein zwischen ihren rauchvergilbten Zähnen hält – mit langgezogenen, in süßlichem Singsang gebildeten Sätzen den Gastgebern die Methode mit dem Zeitungspapier einredet. Diese hervorragende Erziehungsmethode, bei allen zivilisierten Völkern und deshalb in erster Linie in der angelsächsischen Welt verbreitet, hat sich als einzig richtige herausgestellt, zudem ist sie ganz einfach: In der kritischen Phase, also ein, zwei Stunden nach der Fütterung, bindet man den Hund ans Tischbein und breitet eine Zeitung unter ihm aus. – »Wenn irgend möglich« – so erklärt die fremde Lady mit hinreißend fehlerhafter Aussprache –, »die New York Times . Die ist seriös und groß genug …« In Ermangelung der New York Times nehmen sie einfach ein ungarisches Presseorgan, das allerdings weniger seriös und auch nicht so groß ist. Der Herr lauscht übrigens entzückt dem gebrochenen Ungarisch der Dame, er neigt dazu, sich allerlei Wunschträume zusammenzureimen, redet sich ein, diese Tochter einer großen Nation hätte, vermutlich den Dichtern Csokonai und Petőfi zuliebe, Ungarisch gelernt. Ach, um wieviel erhebender ist doch der Traum als die Wirklichkeit, die schlicht dahin geht, daß die Tochter einer kleinen Nation sich aufspielt und eine mimt, die ihre Muttersprache vergessen hat! Sie breiten also die Zeitung unterm Tisch aus und machen sich auf die Suche nach dem Hund.
Tschutora ist seit einigen Tagen wirklich unausstehlich – sofern man die selbstvergessene Ungezwungenheit eines Babys unausstehlich nennen kann. Planlos, nach Lust und Laune, legt er in den verschiedenen Ecken der Wohnung seine Überraschungen aus. Dabei kann man ihm nicht unterstellen, daß er für diesen Teppich oder jenen Lehnstuhl eine besondere Vorliebe hätte. Die Örtlichkeiten sind ihm so einerlei, wie dem Urmenschen jedes Gestrüpp, jede Urwaldlichtung gleichgültig und gleich lieb waren. Theres, die von Physiologie nur wenig weiß, sagt – mit Kehrschaufel und Lappen in der Hand – kopfschüttelnd: »Was für ein Bauer!« Man wagt nicht nachzufragen, wie sie das meint … Tschutora sitzt hinterm Ofen, stramm aufrecht, mit gespitzten Ohren, den Amerikaner mit dem Basedowblick, der vom Tisch auf ihn herunterkläfft, verächtlich ignorierend und ahnungslos, als ihn sein Herr am Genick packt und hochhebt. Ergeben schmiegt er sich an die Hand, quiekt auch nicht. Kontroversen oder Mißverständnisse hat es zwischen ihnen noch keine gegeben. So beginnt Tschutora, auf dem ausgebreiteten Zeitungspapier herumzuspazieren. Beschnuppert mißmutig den Leitartikel, schreitet über die Kolumne seines Herrn achtlos hinweg. Das ist ungerecht, denkt der Herr, denn gerade gegen Ende sind da fünf Zeilen … Doch bevor er etwas beanstanden kann, ist Tschutora schon mitten in der großen Tagesreportage und nimmt eine verdächtig kauernde Pose ein. Da macht der Herr schnell die um das Tischbein geschlungene Leine an Tschutoras Halsband fest, die Lady mit der langen Zigarettenspitze ruft »au-yes«, was entschieden übertrieben ist, denn sie könnte es ja getrost auch ungarisch sagen; der Herr tritt einen Schritt zurück, und Billy verfällt in ein irrsinniges Gebell. Tschutora schaut sichtlich verwirrt um sich. Was hat man eigentlich mit ihm vor? Er unterdrückt sein Bedürfnis, macht ratlos und hilfesuchend einige Schritte in Richtung der Dame des Hauses zum Rand der Zeitung. Hat aber noch nicht einmal den Leitartikel erreicht, als das Halsband sich spannt und ihn würgt. Er stutzt, schaut sich um. So klein ist er da unten im riesigen Schatten des Tisches, so hilflos und verloren, daß er jetzt allen leid tut. Die Leine zwischen Halsband und Tischbein strafft sich. Er hebt die Nase, schnuppert argwöhnisch an der Leine. Versteht das nicht. Blickt zu den Riesenwesen empor,
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