Ein Hund namens Gracie
wir wie die Bekloppten und verschoben den Start von einem Tag auf den nächsten.
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass Phantasie und Zaudern zu meinen stärker ausgeprägten Eigenschaften gehören. Über die Jahre habe ich sie erst zur Kunst, dann zur Wissenschaft gemacht, dann wieder zu einer Kunst. Doch wenn ich jetzt daran zurückdenke, wird mir deutlich, dass vieles von dem, was wir unsere Trockenübungen nannten, Forschung war. Zum einen wurden wir zu Experten für Hundefutter. Wir gingen in jeden Supermarkt und in jede Tierhandlung der Stadt, um uns die Zutaten aller Produkte gewissenhaft zu notieren. Wir entschlossen uns dazu, dreist und nicht heimlich zu Werke zu gehen, deswegen nahmen wir uns beide etwas zum Schreiben und liefen herum, als gehöre uns der Laden. Was uns sehr schnell zu stören begann, war die Anzahl der Zutaten, die keine Lebensmittel im engeren Sinn waren. Auf allen Packungen machten sie über die Hälfte der Zutaten aus, und die meisten konnten wir noch nicht einmal aussprechen. Bisher hatte ich gedacht, dass wir Sarah und Dottie verwöhnten, indem wir ihnen die hausgemachten Leckereien zu fressen gaben, die Gracie wirklich brauchte, aber jetzt fühlte ich mich schuldig, weil wir sie all die Jahre mit diesem Konservenfraß abgefüttert hatten.
»Ich sehe ein, dass man Konservierungsstoffe braucht, wenn man Hundefutter in einem Bunker lagert«, sagte Mark eines Abends beim Essen, »aber wenn man sich die sonstigen Zutaten ansieht, sollten es doch ausschließlich Lebensmittel sein.« Er beugte sich zu Sarah und Dottie, in der Art eines Ausbildungsoffiziers: »Habe ich Recht, meine Damen?«
Sie bellten wie auf Verabredung und wedelten parallel mit ihren Schwänzen.
»Du hast das mit ihnen geübt, stimmt’s?«
»Hey«, sagte er, die Handflächen nach oben gewandt, »der Kunde hat immer Recht.«
Einen Monat später sollten wir herausfinden, wie Recht der Kunde hat und wie Unrecht wir haben konnten.
Eines Freitagabends blieb ich zu Hause, um den Anschluss in der Serie »Ein Duke kommt selten allein« nicht ganz zu verpassen. Nebenher stopfte ich Gracie mit Leckereien voll. Sie war mit ihrem Kopf auf meinem Schoß eingedöst - wahrscheinlich wunderte sie sich, warum ich meine freie Hand nicht benutzte, um ihr mit einem Palmwedel Luft zuzufächeln, da platzte Mark herein und verkündete:
»Hundeschau im Johnson County. Morgen in vier Wochen!«
Wie sich herausstellte, war es keine richtige Hundeschau. Es war ein »Ereignis«, das vom ansässigen Sozialpsychiatrischen Dienst initiiert worden war, um den Leuten zu zeigen, wie viel die Gesellschaft von Tieren - vor allem von Hunden - zu ihrem psychischen Wohlergehen beitragen konnte (genau das, was die Pharmaindustrie nicht groß verbreitet wissen möchte). Freie Gruppen und Firmen konnten ihre Stände für eine »kleine« Spende von 50 Dollar aufstellen.
»Glaubst du, wir sind schon so weit?« Während ich sprach, zog mir Gracie vorsichtig einen Keks aus der Hand.
»Beantwortet das deine Frage?« meinte Mark und zeigte auf Gracie. »Wenn die mäkeligste Esserin im ganzen Hundereich deine Kekse liebt, dann machst du irgendwas richtig.«
Wir wechselten die Gangart. In den folgenden vier Wochen konnte man uns Abend für Abend sowie am Wochenende beim Backen antreffen. Nur dass wir jetzt systematisch wurden und ein Logbuch über die diversen Zutaten führten: Karotten, Rosinen, Knoblauch, Getreideflocken, Äpfel, Preiselbeeren, alles, was uns für den feinen Hundegaumen gesund und geeignet erschien. Zu jener Zeit hatten wir schon stundenlange Ferngespräche mit tierärztlichen Hochschulen geführt, in denen wir uns kundig gemacht hatten, welche Nahrungsmittel wir in unseren Küchlein verbacken konnten und welche wir lieber nicht verwenden sollten. Ursprünglich bestand unser Testmarkt nur aus drei Hunden, deren Profil von der heiklen Gracie bis zur
Wenn-es-aufhört-sich-zu-bewegen-dann-fresse-ich’s-Dottie reichte. Bald hatte es sich aber in der Nachbarschaft herumgesprochen (diese Hunde konnten einfach kein Geheimnis für sich behalten). Gegen Ende der zweiten Woche kam fast täglich jemand ganz zufällig vorbei und wollte wissen, woher dieser wunderbare Geruch kam. In der dritten Woche klopften schon Leute an die Tür und fragten uns, ob wir ein neues Blech Kekse hätten, das ihre Hunde ausprobieren sollten. Und wir ermunterten sie - wir kauften ein paar Dutzend brauner Butterbrottüten und stempelten sie alle mit unserem neuen
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