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Ein Hut voller Sterne

Ein Hut voller Sterne

Titel: Ein Hut voller Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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mit sichtbar gewordener Unsichtbarkeit. Er kräuselte sich und reflektierte das Licht seltsam. In dem Schimmern und Glitzern zeigten sich Gesichter, die zitterten und ihre Form veränderten wie Spiegelbilder im Wasser.
    Die Zeit verstrich langsam. Jenseits der Wand des Schwärmers sah Tiffany Hexen in ihre Richtung starren. Eine hatte im Durcheinander ihren Hut verloren, aber er hing in der Luft — er hatte noch keine Zeit gefunden, zu Boden zu fallen.
    Tiffanys Finger bewegten sich. Der Schwärmer schimmerte in der Luft, so unruhig wie die Oberfläche eines Teichs, nachdem man einen Stein hineingeworfen hatte. Rankenartige Erweiterungen tasteten nach ihr. Sie fühlte seine Panik, seinen Schrecken, als er feststellte, dass er gefangen war.
    »Willkommen«, sagte Tiffany.
    Willkommen?, erwiderte der Schwärmer mit Tiffanys Stimme.
    »Ja. Du bist hier willkommen und sicher.«
    Nein! Wir sind nie sicher!
    »Hier bist du sicher«, bekräftigte Tiffany.
    Bitte!, sagte der Schwärmer. Beschütze uns!
    »Der Zauberer hatte fast Recht«, sagte Tiffany. »Du verbirgst dich in anderen Wesen. Aber er fragte sich nicht nach dem Grund dafür. Wovor versteckst du dich?«
    Vor allem, antwortete der Schwärmer.
    »Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, sagte Tiffany.
    Glaubst du? Weißt du, wie es ist, sich aller Dinge bewusst zu sein, aller Sterne und Grashalme? Ja. Das weißt du. Du nennst es »die Augen erneut öffnen«. Aber für dich ist es nach einigen Momenten vorbei. Bei uns dauert es eine Ewigkeit. Kein Schlaf, keine Ruhe, nur endlose... endlose Erfahrung, endloses bewusstes Wahrnehmen. Aller Dinge. Die ganze Zeit über. Wie sehr wir dich beneiden. Ihr glücklichen Menschen, die ihr euren Geist vor den endlosen kalten Tiefen des Alls verschließen könnt! Ihr habt diese Sache, die ihr... Langeweile nennt. Das ist die kostbarste Gabe des Universums! Wir haben ein Lied gehört, in dem es hieß: »Funkle, funkle kleiner Stern...« Welch eine Macht! Welch eine wundersame Macht! Ihr nehmt eine Billion Trillionen Tonnen flammende Materie, einen atomaren Ofen ungeheuren Ausmaßes, und verwandelt ihn in ein kleines Lied für Kinder! Ihr baut kleine Welten, kleine Geschichten, kleine Hüllen um euren Geist, haltet damit die Unendlichkeit von euch fern und könnt dadurch morgens erwachen, ohne zu schreien!
    Vollkommen untergeschnappt!, ertönte eine fröhliche Stimme im Hintergrund von Tiffanys Erinnerungen. Man konnte Professor Hetzig nicht lange schweigen lassen.
    Hab Mitleid mit uns, sagten die Stimmen des Schwärmers. Kein Schild für uns, keine Ruhe, keine Zuflucht. Aber du hast uns widerstanden. Wir haben es in dir gesehen. Du hast Geister in Geistern. Versteck uns!
    »Du willst Stille?«, fragte Tiffany.
    Ja, und mehr als nur Stille, sagte die Stimme des Schwärmers. Ihr
    Menschen versteht es so gut, Dinge zu ignorieren. Ihr seidfast blind undfast taub. Ihr seht einen Baum an und seht... nur einen Baum, eine steife Pflanze. Ihr seht nicht seine Geschichte, fühlt nicht seine Säfte aufsteigen, hört nicht die Insekten in der Rinde, spürt nicht die Vorgänge in den Blättern, bemerkt nicht die hundert Grünschattierungen, die kleinen Bewegungen, die der Sonne folgen, das langsame Wachsen des Holzes.
    »Aber du verstehst uns nicht«, sagte Tiffany. »Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch dich überleben könnte. Du gibst uns Dinge, von denen du glaubst, dass wir sie wollen, und sobald wir sie wollen, wie in einem Märchen. Und die Wünsche nehmen immer ein schlimmes Ende.«
    Ja. Das wissen wir jetzt. Wir haben ein Echo von dir. Wir... verstehen, sagte der Schwärmer. Deshalb kommen wir nun mit einem Wunsch zu dir. Es ist der Wunsch, der die anderen Wünsche in Ordnung bringt.
    »Ja«, erwiderte Tiffany. »Das ist immer der letzte Wunsch, der dritte. Er lautet: >Sorg dafür, dass dies alles nicht passiert ist.<«
    Lehre uns zu sterben, sagten die Stimmen des Schwärmers.
    »Davon weiß ich nichts!«
    Alle Menschen wissen davon, sagten die Stimmen des Schwärmers. Während eures kurzen Lebens habt ihr ständig damit zu tun. Ihr wisst Bescheid. Wir beneiden euch um euer Wissen. Ihr wisst, wie man aufhört. Ihr seid sehr talentiert.
    Ich muss über den Tod Bescheid wissen, dachte Tiffany. Tief in meinem Innern. Mal überlegen. Vorbei an dem »Ich kann nicht«.
    Sie hob den glänzenden Wirrwarr. Noch immer ging Licht davon aus, aber eigentlich brauchte sie ihn nicht mehr. Sie hielt die Kraft im Zentrum ihres Selbst. Es war alles

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