Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
dem Telefonat zog sie sich an und schnappte die Geschenke für
Clara und ihre Großmutter. Gut, dass sie daran gedacht hatte, ihnen eine
Kleinigkeit auszusuchen. Sie machte sich auf den Weg über das Wehr zum
Michelsberg. Während das Wasser unter ihr brauste und rauschte, als gäbe es
kein Gestern, ließ sie sich den lauen Weihnachtswind um die Nase wehen.
Nach ihrer vierten Stadtführung fühlte sich Emily nun schon
etwas sicherer. Heute war sie sogar einmal über den Uniplatz hinausgekommen,
hatte die Geschichte des Gastwirts und Bäckers erzählt, der aus lauter Geiz den
Kümmel für die Brötchen spaltete, und vom Finder des Homo Heidelbergensis, der
steif und fest behauptete: „Ich hab de Adam g’funne.“
Nach der Stadtführung war sie noch im Baumarkt vorbeigefahren.
Zufrieden mit sich und ihren Einkäufen lud sie die Farbeimer in den Kofferraum
des Car-Sharing-Autos. Letzten Monat war sie im Verein Ökostadt Rhein-Neckar
Mitglied geworden. Auch den Umzug hoffte sie mit einem Car-Sharing-Bus
bewältigen zu können, so dass sie die Kosten gering halten konnte. Sie hatte
viel Zeit in Friedas Wohnung verbracht und überlegt, wie sie einerseits ihren
Charme erhalten, sie andererseits aber an ihre Bedürfnisse anpassen konnte. Die
rollstuhlgerechte Küche würde sie so lassen. Das Bad fand sie extrem
altmodisch, allerdings nicht auf die sympathische Art, und hatte Klebefliesen
im Internet bestellt, um die weißlich-grünen Fliesen zu verschönern. Auch eine
neue Klobrille hatte sie sich gegönnt und die Monturen abgeschraubt, die Frieda
den Toilettengang erleichtert hatten. Erst wollte sie den Wohnbereich nicht
streichen. Dann hatten Clara und sie doch die angegrauten Textiltapeten
entfernt und Raufaser tapeziert. Nun würde sie eine Wand im Schlafzimmer in
einem Sonnengelb streichen und eine Wand im Wohnzimmer mit einem weiblichen
Mauveton und die Kammer, das halbe Zimmer der Zweieinhalbzimmer-Wohnung, das
Emily als Arbeitszimmer verwenden würde, bekäme einen Anstrich in Türkis mit
Goldeinsprengseln. Einige marokkanische Stoffe und Deko-Elemente würden dafür
sorgen, dass dieses Zimmer auch in ein Gästezimmer umfunktioniert werden könnte
und Emily gar nicht das Gefühl von Arbeit hätte, wenn sie darin studieren
würde.
Nach erfolgreich durchgeführtem Umzug ließen sich alle
erschöpft auf die Stühle um ihren Nussbaumtisch sinken. Clara und Max, Bohni
und Thorsten hatten ihr seit heute Morgen geholfen, ihre Habseligkeiten in den
dritten Stock zu schaffen. Ihre Schränke und die Vitrine waren schon aufgebaut,
die ersten Lampen hingen, die Vorhänge hatte sie weitgehend von Frieda Vogel
übernommen. Alles sah schon sehr wohnlich aus, neu und doch ein wenig vertraut.
Während Emily den Sekt und die belegten Brötchen aus der zum Glück
funktionsfähigen Küche holte, dachte sie zum tausendsten Mal voller Dankbarkeit
an die alte Dame. Ihr Geschenk war genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Die
Arbeit der letzten Wochen hatte ihr gutgetan. Sie konnte wieder normal essen
und kam einfach nicht mehr dazu, daran zu denken, was sie falsch gemacht hatte und
was ihr angetan worden war. Josue hatte ihr vor einigen Tagen zwei
Konzertkarten für heute zugeschickt. Emily hatte die Karten an Ruth und Gabriel
weiterverschenkt, die ihr letztes Wochenende in Heidelberg verbrachten. Auch
mit allem Abstand war sie noch nicht so weit, Josue im Konzert zu sehen und zu
hören. Vermutlich wusste er, dass er Cello spielend noch attraktiver war als
sonst. Sie schenkte den Sekt ein, wie immer schaffte sie es, dass er
überschäumte und schaute in die Runde der liebgewonnenen Gesichter. „Liebe
Freunde, vielen herzlichen Dank, dass ihr mir geholfen habt. Durch euch und mit
euch fühle ich mich in Heidelberg und jetzt auch in Handschuhsheim so richtig
wohl. Und wer auch immer in schweren Zeiten einen Unterschlupf braucht: Ich
habe jetzt ein Gästezimmer! Also, zum Wohl und haut rein.“ Die anderen
applaudierten. Thorsten schaute sie ein wenig traurig an. Wer weiß, vielleicht
konnte er Nadine überzeugen einzuziehen, denn sie hatten sich wieder versöhnt.
Am Sonntagmorgen, nach einer Nacht, in der Emily wunderbar
geschlafen hatte, wurde sie durch das Glockengeläut der naheliegenden
Friedenskirche geweckt. Oho, daran würde sie sich erst einmal gewöhnen müssen.
Sie reckte sich und fühlte sich voller Tatendrang. Sicher, es gab noch genug zu
tun, aber es zog sie nach draußen in den kalten Februarmorgen. Die Sonne
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