Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Ruth und Emily konnte hören, dass sie
weinte.
„Dann erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau.“
Tja, so schmerzlos konnte das vonstattengehen, jetzt war
Ruth auch ihren doofen Nachnamen los, wie praktisch. Dann gaben sich Ruth und
Gabriel einen so innigen Kuss, dass alle im Saal feuchte Augen bekamen, nur
Emily hatte keine Tränen mehr.
Alle beglückwünschten das Paar, das freudestrahlend Händchen
hielt. Ruths Mutter versuchte, das große Ereignis aus jeder Perspektive zu
fotografieren, ihr Vater saß glücklich mit dem Kopf wackelnd im Rollstuhl. Dann
traten sie aus dem Gebäude in die Kälte. Die nächste Hochzeitsgesellschaft mit
einer Braut in rosa Bonbonseide wartete schon. Das ging hier eben wie am
Fließband in der Stadt der Liebe.
Aus den Holzhütten des Weihnachtsmarkts qualmte es bereits
um diese Zeit. Der Geruch nach Glühwein vermischte sich mit Bratwurst und
Popcorndüften. Emily wurde schlecht, denn sie hatte heute noch nichts
gefrühstückt. Ein paar Kommilitonen, unter ihnen auch Clara, hatten einen
kleinen Sektempfang vorbereitet. Emily war gerührt, denn sie hätte gedacht,
dass sich für Gabriel, den Einzelgänger, niemand ein Bein ausreißen würde.
Gabriel und Ruth ließen eine Traube Gasballons fliegen. Emily lächelte Clara
zu, griff sich ein Glas Sekt und stürzte es hinunter. Dann stöckelte sie zum
Nachfüllen über das Kopfsteinpflaster und ignorierte die hilfsbereit
ausgestreckte Hand des jungen, runden Pfarrers. Sie würde sich heute locker
machen und einfach nur essen, dann essen und dann nochmal essen. Ihre Kleider
schlotterten schon. Bei der Trauer um die zerbrochene Beziehung mit Klaus hatte
sie immer nur gegessen. Das war dieses Mal anders. Ein wenig Smalltalk würde
sie noch hinbekommen, und auch dieser Tag würde vorbeigehen. Anna schob sich an
ihre Seite und stieß mit ihr an.
„Dein Josue war ein Traum“, sagte sie. Emily nickte und
fühlte sich verstanden.
„Alles klar bei dir und Harry?“, fragte sie vorsichtig.
Anna nickte zögerlich. „Wir müssen schon aufpassen, dass uns
der kleine Mann nicht aufreibt, aber ich denke, wir bekommen es ganz gut hin.
Wie wär’s, wenn wir uns heute Abend noch zu dritt treffen? Wir haben das
Babyphon dabei und könnten doch noch an der Hotelbar abhängen.“
„Anna, das wäre toll.“ Emily fühlte sich schon ganz versöhnt
mit dem Tag. Gemeinsam brachen sie auf in das Güldene
Schaf .
Gerade streifte Emily in der Diele ihre Schuhe von den
schmerzenden Füßen, als ihr Handy klingelte. Sie angelte in ihrer riesigen
Handtasche danach und schaffte es noch rechtzeitig.
„Ja?“
„Hallo Emily, hier ist deine Mutter.“
„Mama, einen Moment, ich bin gerade heimgekommen. Gleich bin
ich für dich da.“ Sie zog ihre Jacke aus, warf sich auf das Sofa und steckte
ihre kalten, nylonbestrumpften Beine unter eine Decke. „Jetzt bin ich bereit.“
Sie wusste nicht, ob sie das wirklich war bei ihrer Mutter, aber zumindest
äußerlich war sie auf Empfang eingestellt.
„Heute war doch die Hochzeit von Ruth und Gabriel, da wollte
ich hören, wie es war?“
„Ja, es war schön. Sie sind ein wunderbares Paar und Ruth
hat so gut ausgesehen in ihrem weinroten Samtkostüm mit diesen dunklen Haaren
und dem hellen Teint, das war toll.“
„Hat alles geklappt mit Lizzy, dem kleinen Blumenmädchen?“
Oh Gott, jetzt war es so weit. Emily hatte in den letzten
Wochen weder Kraft noch Lust gehabt, ihren Eltern von der Trennung zu erzählen.
„Josue, Flo und Lizzy waren nicht dabei.“
„Ja, warum denn nicht? Ist eins der Kinder krank geworden?“
„Nein, Mama. Wir haben uns getrennt.“ Ihre Mutter schwieg.
Als Emily das Warten zu lange wurde, fragte sie: „Mama, bist du noch da?“
„Ja, ich versuche gerade diese Nachricht zu verdauen. Und
wann hättest du uns das mitgeteilt, wenn ich heute nicht angerufen hätte?“
„Bald. Ich muss jetzt auch erst mal wieder auf die Beine
kommen.“
„Aber warum denn um Himmels willen? Er ist ein toller Mann
und wir waren so stolz auf dich. Du kannst richtig gut mit den Kindern umgehen
und hast so erwachsen gewirkt, als ihr uns in Hamburg besucht habt.“ Ihre
Mutter klang so aufrichtig bestürzt, dass Emily beschloss, ihr die Wahrheit zu
erzählen.
„Mama, er liebt mich nicht.“
„Woher willst du denn das wissen? In Hamburg sah das aber
gar nicht danach aus. Er war immer sehr freundlich und höflich zu dir.“
Ja, das war er. Emily holte tief Luft. „Ich habe aus
Versehen ein
Weitere Kostenlose Bücher