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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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Touristenattraktion machen
wollten“, sagt Ángel, der auch auf den See blickt. „Als wir uns dann in den verlassenen Häusern installierten, war ihnen das natürlich überhaupt nicht
recht. Deshalb stellten sie uns Strom und fließend Wasser ab. Da uns das nicht verscheucht hat, tun sie jetzt einfach so, als würden wir nicht
existieren. Sie haben alles fein säuberlich renoviert, und jetzt hetzen sie uns die Touristen auf den Hals.“ „Aber die Symbiose zwischen Künstlern und
Besuchern ist doch eigentlich äußerst fruchtbar. Viele kaufen euch doch auch Kunstwerke als Erinnerungsstück ab“, wende ich ein. Das sieht Ángel ganz
anders, noch während ich meinen Satz vollende, schüttelt er heftig den Kopf. Er klärt mich auf, dass die Besucher sich nur für Kunsthandwerk und nichtfür wahre Kunst interessierten. Nur diejenigen würden deshalb von dem Ansturm profitieren, die schnell produzierten und billig
verkauften. Er klingt richtig böse. Gerade noch glaube ich, ich hätte es mir mit Ángel verscherzt, da zeigt er in versöhnlichem Ton auf zwei kleine
Eisenfiguren, die auf der Mauer stehen. Die erste ist ein Mann, der in einem Käfig auf einen Amboss einschlägt. Die zweite Skulptur stellt zwei Männer
dar, die im Kampf miteinander verschlungen sind. Alle drei Männer sehen genau gleich aus, alle haben leidverzerrte Mienen.
    Nachdem wir den Fragebogen abgehakt haben, schlägt Ángel mir vor, ihn auf ein paar Tapas zu seinem Freund Diego zu begleiten. Ich habe doch einen
besseren Eindruck hinterlassen als gedacht. Diego scheint sich mit der neuen Situation besser arrangiert zu haben als Ángel, mit seiner gemütlichen Bar
hat er die Zeichen der Zeit in Castellar erkannt. Aus Eichenfässern serviert er süßen Sherry-Wein, dazu läuft Musik von Paco de Lucía, Tomatito und
Camerón de la Isla. Mittags kocht er sich immer eine große Portion Eintopf, seine Gäste können davon eine Tapa bestellen. Fast alle Besucher, die sich
in den Dorfgassen verlieren, landen früher oder später auf ein Gläschen Sherry bei Diego. Heute hat er Kaninchen mit Reis zubereitet, und weil Ángel und
ich nicht aus dem Schwärmen über seine Kochkünste herauskommen, stellt Diego nicht nur eine Tapa, sondern eine ganze Portion vor uns hin.
    Auch Diego lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Castellar. Seine Liebe gehört allein dem Flamenco, in Castellar organisierte er jahrelang Festivals,
bei denen lokale Größen auftraten, die er nicht selten selbst entdeckt hatte. „Früher, bevor sie alles renoviert haben, da war es viel schöner hier“,
sagt er, während er zufrieden beobachtet, wie wir uns an seinem Eintopf laben. „Na ja, natürlich ist es jetzt objektiv schöner, aber früher hatte
Castellar mehr Charme. Es warecht etwas los. Heute habe ich das Gefühl, in einem Museum zu wohnen.“ Als Nachtisch serviert uns Diego
Lebensweisheiten, die vor allem an mich gerichtet scheinen. „Man muss öfter mal auf die Stille hören, um nicht am eigenen Leben vorbeizuleben. Am besten
zieht man sich allein in die Natur zurück.“ Beim Abschied legt auch er mir ans Herz, Hermann zu besuchen, wenn ich Castellar besser verstehen will.

    „Aus der ganzen Welt kamen die Leute, die hier früher gelebt haben“, erzählt Hermann, als ich bei ihm auf dem Sofa einen deutschen
Filterkaffee schlürfe. Sein Blick schweift in die Ferne, dorthin, wo der Stausee liegt, und einen Moment lang versinkt er in Gedanken. Hermann ist
klein, schmal und hat schulterlanges graues Haar, das er vorne kurz trägt. Das Gesicht ist voller Falten, auf der Nase sitzt eine Nickelbrille, hinter
den dicken Gläsern liegen kleine, wache Augen. Im Schnelldurchlauf habe ich fünf weitere Künstler befragt, bevor ich im Laden am Eingang der Burg nach
Hermann gefragt habe. Der Verkäufer entlarvte mich sofort als Landsfrau. „Du musst die Straße hinunter gehen, das dritte Häuschen auf der linken Seite
ist seines“, sagte er in astreinem Deutsch.
    Hermann stellt sich selbst als Veteran unter den Deutschen in Castellar vor. Mitte der Siebzigerjahre kam er in die Burg. Er war auf dem Rückweg von
Marokko nach Deutschland, durch Spanien musste er nur aus logistischen Gründen. „Eigentlich hätte ich das faschistische Terrain lieber gemieden“,
erzählt Hermann. „Durch Zufall stieß ich auf Castellar, nachdem ich bei Algeciras mit der Fähre übergesetzt hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick.
“ Als Hermann im Jahr 1976 nach Castellar kam, fand er in der Burg nur

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