Ein Jahr in Andalusien
und folge ihm in sein Atelier.
An den Wänden hängen riesige Bilder, auf denen knallbunte Farbkleckse in allen Größen verstreut sind. Auf dem Boden stapeln sich Leinwände, in einer
Ecke stehen offene Farbtöpfe, in denen dicke Pinsel stecken. Ich zücke schon meinen Block, da fragt mich Roberto: „Willst du einen Kaffee?“ Ohne meine
Antwort abzuwarten, verschwindet er in einem Hinterzimmer, das mit einem Vorhang vom Ausstellungs- und Arbeitsraum getrennt ist. Ich schließe die Augen
und fasse den Entschluss, die Sache wirklich entspannt anzugehen. „Wie kommt es dazu, dass ihr in dieser schönen Burg leben und arbeiten dürft?“, frage
ich Roberto, den ich hinter dem Vorhang mit Töpfen hantieren höre. „In den Siebzigerjahren erzählten die Politiker den Bewohnern, ihr Dorf würde von dem
Stausee, der heute hinter dem Dorf liegt, überflutet werden. Alle zogen in den neuen Ort weiter unten, wo ihnen gleichförmige Neubauten zur Verfügung
gestellt wurden. Nur zwei, drei ältere Menschen wollten nicht weg. Das Wasser blieb aus, dafür kamen Hippies aus aller Welt. Ein paar wohnen immer noch
hier, vor allem deutsche. Zuletzt kamen wir Künstler und Kunsthandwerker. Die Burg ist heute zur Touristenattraktion geworden und damit zum idealen
Platz, wo man gleichzeitig arbeiten und verkaufen kann. Denn die Umgebung ist sehr inspirierend.“Roberto kommt aus dem Hinterzimmer,
die eine Hand hält den Vorhang auf, die andere balanciert ein kleines Tablett mit zwei dampfenden Tassen, Zuckerstreuer und Milchkännchen. „Wenn dich
die Geschichte der Ortschaft interessiert, musst du unbedingt die deutschen Hippies besuchen, die sind am längsten da. Frag einfach unten in der Bar am
Burgeingang nach Hermann. Der weiß alles.“ Eine halbe Stunde lang erzählt mir Roberto von seinem Werdegang, von den Museen und Galerien, in denen er
schon ausgestellt hat, und von seiner Kunst. Kein Detail lässt er aus. Erst als er geendet hat, komme ich dazu, die Fragen zu stellen, die Barbara mir
ans Herz gelegt hat. Sie will wissen, welche Materialien er benutzt und wie die nähere Umgebung sich auf seine Kunst auswirkt. Roberto spricht mehrere
Minuten von der Natur als Inspirationsquelle.
Als er geendet hat, begleitet er mich durch die mit alten, ungleichmäßigen Steinen gepflasterten Gassen zum Atelier von Ángel. Die Fassaden der
niedrigen alten Häuser sind frisch gestrichen, an vielen ranken üppige Bougainvilleas empor. Blühende Orangenbäume verbreiten an winzigen Plätzen ein
betörendes Aroma. Kein Wunder, dass das Burgdorf den Urlaubern gefällt. Roberto hält vor einer alten Holztür und klopft mit den Knöcheln einen
rhythmischen Code. „Ángel ist mit den Hippies gekommen, die Touristen will er nicht sehen. Deshalb öffnet er nur denjenigen, die das Klopfzeichen kennen
“, raunt er mir zu, während wir es hinter der Tür rascheln hören. „Da wundert es mich, dass er bei dem Projekt mitmachen will …“ Kaum habe ich den
Satz beendet, steht ein älterer Mann mit wildem, grauem Lockenkopf im Türrahmen. „Du hast sie aber lange festgehalten“, raunzt Ángel Roberto mit
rauchiger Stimme an. „Ich hatte ihn gebeten, dich am Eingang in Empfang zu nehmen“, sagt er wesentlich freundlicher an mich gewandt. Roberto drückt mir
einen Kuss auf beide Wangen und schon ist erverschwunden. „Dieser selbstverliebte Gockel“, murmelt Ángel missmutig und bittet mich
herein.
Erst jetzt erkenne ich, dass die Wohnung sich direkt in der dicken Burgmauer befindet. Es ist düster, Licht fällt nur aus den Schießscharten ein, die
Fenster, die auf die Gassen gehen, hat Ángel mit dickem, dunklem Samt verhängt. Es riecht, als sei tagelang nicht gelüftet worden. Und es dauert eine
Weile, bis ich mich an das Zwielicht gewöhnt habe. In dem Zimmer herrscht kreatives Chaos. Bücher, Notizen und Skizzen sind auf dem Sofa und dem großen
Holztisch verteilt, dazwischen stehen überall kleine Bronzefiguren. „An meinen Skulpturen arbeite ich oben“, sagt Ángel, der meinem Blick gefolgt ist,
und schon klettert er flink eine schmale Wendeltreppe hinauf. In der Hoffnung auf etwas Frischluft erklimme ich ebenfalls schnell die ausgetretenen
Stufen.
Wir stehen auf der Burgmauer. Es weht eine steife Brise, weit unter uns liegt der Stausee Guadarranque, der Castellar den Kreativen und Alternativen
geöffnet hat. „Ich bin davon überzeugt, dass die Politiker die Anwohner nur rausgeworfen haben, weil sie aus der Burg eine
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