Ein Jahr in Andalusien
versteht sich. Einer muss sich immer um die Neuankömmlinge kümmern. Die beiden
können nur Englisch, Ara versteht von den Ausführungen deshalb leider kaum etwas. Zuerst führt uns Naoko durch das Atelier und zeigt ihre Bilder. Es
sind fein gezeichnete Traumlandschaften, in denen ein kleines Mädchen tanzt, schwebt und sich hinterm Mond versteckt. Gleich daneben hängen die
skurrilen und schonungslosen Collagen ihres Freundes, auf denen Sichelnund Äxte in Holzköpfe gerammt sind. Naoko ist zierlich, das
schwarze Haar rahmt ihr schönes Gesicht akkurat ein. Bernd ist groß und kräftig, sein graues Haar ist schütter, seine Gesichtszüge grobschlächtig. Er
war Universitätsprofessor an der Kunstakademie in Glasgow und wohnt schon seit vielen Jahren in dem weißen Dorf am westlichen Eingang der Serranía de
Ronda. Seine Lebensgefährtin Naoko hat er bei einem Spanischkurs kennengelernt. „Ich bin eigentlich Sprachwissenschaftlerin. In Japan hätte ich nie
daran gedacht, mich dem Malen zu widmen“, erzählt Naoko schüchtern. Doch heute lebt auch sie von ihren Pinselstrichen. Sogar in Hongkong hat sie schon
ausgestellt. Als Bernd an der Reihe ist, frage ich ihn, wieso er nach Gaucín gekommen ist. Einen kurzen Moment überlegt er, dann sagt er: „Das war
Zufall.“ Schließlich geht er an das große Fenster seines Wohnzimmers, von dem aus man das Meer und die abfallende Hügellandschaft sehen kann. „Das
Licht und die Farben der Gegend hier, die sind zum Malen einfach ideal.“
Durch die engen Gassen der Altstadt wandern Ara und ich nach dem Besuch bei Bernd und Naoko zur Werkstatt von Paco. „Wenn sie nicht so darauf gedrängt
hätten, hätte ich nicht mitgemacht“, sagt er gleich bei der Begrüßung. Doch jetzt scheint er das Event in vollen Zügen zu genießen. In seinem Haus ist
der Teufel los. Die Besucher schenken den Werken, die wie zufällig an die Wände gelehnt sind, nur manchmal Seitenblicke. Seine Bilder malt er
anscheinend am liebsten auf alte Möbelstücke und auf ausrangierte Haustüren. Alle Anwesenden, die meisten sind Spanier, sind in Gespräche vertieft, ein
Glas Wein in der Hand. Wie ein Künstler sieht auch Paco auf den ersten Blick nicht aus. Er ist um die fünfzig, klein, kräftig und braungebrannt. Immer,
wenn Anne die Truppe zusammentrommelt, öffnet Paco die Türen seines Ateliers. Die Terminfrage ist für ihn kein Problem. „Ich bin sowieso immer da“,
sagt er. Als ichmich vorstelle, weiß er erst nicht recht, um was es geht. Die E-Mail von Anne scheint bei ihm nicht angekommen zu
sein. Doch ich überzeuge ihn schnell von Barbaras Projekt. „Hombre, ist das toll, dass du Spanisch sprichst“, sagt er mit echter Begeisterung in der
Stimme, kaum habe ich uns vorgestellt. „Mit den meisten meiner Künstlerfreunde kann ich mich leider nicht unterhalten.“ Eine feine Ironie schwingt in
seiner Stimme.
Auch ihn frage ich, wieso wohl so viele ausländische Künstler seinen Geburtsort zum Leben aussuchen. „Gaucín war schon immer beliebt bei den
Ausländern. Der Ort liegt genau auf der Route des Camino de los Ingleses“, sagt Paco und beginnt dann eine lange Rede über die Schönheit seines Dorfs,
über dessen perfekte Lage und über die Rolle in der Geschichte. Keine Frage, Paco ist in seine Heimat verliebt. „Im 17. Jahrhundert war es in England
Mode, als junger Aristokrat eine Bildungsreise zu unternehmen. Die Tour startete meistens in London und führte über Paris in die Schweiz und nach
Deutschland. Als mit dem Bau der ersten Eisenbahnen diese Reiseroute auch für Mitglieder der Bürgerschicht zugänglich wurde, kamen die britischen
Aristokraten nach Südspanien, um unberührte Gegenden zu erkunden. Die beliebteste Route führte von Gibraltar nach Ronda“, erzählt Paco, fast ohne Luft
zu holen. Jeder Versuch meinerseits auf seine Kunst zu sprechen zu kommen, erstickt er im Keim. „Das einzige Risiko waren in Andalusien die Bandoleros,
die Wegelagerer, die die reiche Beute bald entdeckten. Doch diese romantischen Räuber konnten die Briten nicht von ihren Vorhaben abbringen, später
kamen auch Franzosen dazu. Im Morgengrauen starteten sie in Gibraltar, um am frühen Abend in Gaucín haltzumachen. Am nächsten Morgen ging es dann weiter
nach Ronda.“ Paco unterbricht sich und verschwindet, ohne ein Wort zu sagen, in dem Menschengetümmel; vorsichtshalber bleibenwir
stehen. Ara angelt vom Buffet zwei Weingläser für uns und wir stoßen auf den interessanten Tag an.
Als
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