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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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hausgemachte Kroketten. Bei jeder Bestellung lässt sie ihren Blick durch die Runde kreisen, um die Zustimmung der
anderen einzuholen. Inmaculada ist eine demokratische Anführerin. „¿Y quién quiere una caña? Wer will ein Bier?“, fragt sie am Ende. Alle Hände, auch
meine, schnellen in die Höhe. Der Kellner zuckt während der Prozedur nicht mit der Wimper, sondern wiederholt nur immer die letztgenannte
Bestellung. Das tut er anscheinend, um nichts zu vergessen, denn einen Block hat er nicht dabei.
    „Das ist Nadia“, stellt Inmaculada eine junge Frau vor, als die Bestellung abgeschlossen ist. „Sie ist Mitglied einer anderen Bruderschaft, seit zwei
Jahren darf sie den Thron tragen.“ Nadia ist schüchtern, auf meine Fragen antwortet sie nur zaghaft. „Wie fühlt es sich an, den Thron zu tragen?“ „Es
ist ziemlich anstrengend, aber toll. Danach hatte ich das Gefühl, richtig dazuzugehören.“ Schwierig war der Einzug der Frauen unterm Thron anscheinend
nicht. Nadia erzählt, dass die Männer ihren Wunsch sofort akzeptiert hätten. Jede Bruderschaft scheint ihre eigenen Regeln zu befolgen. Schnell bin ich
auch mit den anderen Frauen in Unterhaltungen verstrickt, doch keine kann mir so gut wie Inmaculada erklären, wieso sie unbedingt unter den Thron
will. Am Ende habe ich das Gefühl, dass die Motivation, die die Frauen antreibt, einen sozialen Ursprung hat. DieSemana-Santa-Bruderschaften haben in der andalusischen Gesellschaft immer schon eine sehr wichtige Rolle gespielt. Für den sozialen und beruflichen
Aufstieg ist es förderlich, einer einflussreichen Hermandad anzugehören. Die Brüder machen Politik, verschachern Arbeitsplätze und verteilen soziales
Ansehen. Die Frauen waren bisher gänzlich davon ausgeschlossen. Nach dem Tod von Diktator Franco hat sich zwar formal die Position der Frauen in der
spanischen Gesellschaft geändert, doch auf solche Anachronismen hat die Politik keinen Einfluss.
    Als wir die Bar verlassen, ist das Schnattern der Frauen in ein aufgedrehtes Gackern übergegangen. Auf demselben Weg und in derselben Formation
marschieren wir zurück zu der Ecke, an der die Frauen ihren Umzug, an dem sie nicht teilnehmen dürfen, zu beobachten pflegen. Der wilde Haufen verfällt
in eine ehrfurchtsvolle Stille, als die ersten Trommelschläge ihre Prozession ankündigen. Es ist bereits ein Uhr nachts, als der Thron mit dem
Jungfrauenbild vorbeizieht. „Unser Kampf für die Gleichstellung in der Bruderschaft ist ein historischer. Seit der Maurenzeit haben die Frauen hier nur
im Haushalt und in der Erziehung etwas zu sagen“, bemerkt Inmaculada zum Abschluss noch.
    Völlig erschöpft falle ich in das Bett der Pension, in der ich mich eingemietet habe. Die eintönigen Trommelschläge der Prozessionen wiegen mich in den
Schlaf, bis um sechs Uhr morgens stehen Umzüge auf dem Programm. In meinem Traum befinde ich mich in einem stickigen dunklen Raum. Auf meinen Schultern
trage ich eine unglaublich schwere Last. Es riecht nach saurem Schweiß. Meine nackten Arme streifen auf beiden Seiten die Haut eines Menschen, den ich
nicht sehen kann. Da wird mir bewusst, dass ich mich unter einem Thron einer Semana-Santa-Bruderschaft befinde. Ich will nur noch raus, das Atmen fällt
mir schwer, doch ich muss die Jesusfigur noch drei Stundenlang durch die Stadt tragen … Schweißgebadet wache ich auf. Ich habe genug
von der Semana Santa. Am nächsten Morgen verlasse ich Sevilla nach einem schnellen Frühstück fluchtartig.
    Das übrige Wochenende verbringe ich allein in der Wohnung, Jaime will erst am Sonntagabend aus den Bergen zurückkommen. Eigentlich hatte ich mich
darauf gefreut, ein paar Tage alleine zu sein, doch als der Abend anbricht, würde ich am liebsten mit jemandem über meine Erlebnisse in Córdoba und
Sevilla sprechen. Aber noch kenne ich in Málaga niemanden, den ich anrufen könnte. Plötzlich fühle ich mich mutterseelenallein, erst sehne ich mich
zurück nach Granada, dann nach München. Als ich es nicht mehr aushalte, wähle ich die Nummer von Jaime. Er antwortet sofort. „¿Qué pasa? Was ist los?
“ An meiner verheulten Stimme hat er anscheinend schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. „Ich fühl mich allein“, sage ich schluchzend. „Morgen komme
ich gleich nach dem Frühstück nach Hause“, sagt Jaime, ohne eine Sekunde zu zögern. Den Sonntag verbringen wir eng umschlungen vor dem Fernseher, wo
wir uns einen Almódovar-Film nach dem anderen aus Jaimes Bibliothek ansehen.

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