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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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ein paar Kanadier und US-Amerikaner vor. „Es war der ideale Platz für ein
alternatives Lebensprojekt: einemittelalterliche Dorfidylle inmitten unangetasteter Natur, in der wir ungestört unser Dasein fristen
konnten. Ich blieb sofort. Meinen VW-Bus stellte ich auf dem Parkplatz vor der Burg ab und schlug mit meinen Siebensachen in einem der leer stehenden
Häuser auf.“
    „Wart ihr wirklich ungestört?“, will ich wissen. Hermanns Blick verfinstert sich. „Irgendwann fand Felipe González, der frühere spanische Präsident,
Gefallen an der Burg. Seitdem kann man sich in teuren Landhäusern einmieten und die Guardia Civil macht fast jeden Abend Kontrollen an der
Zufahrtsstraße.“ „Das Hippieleben ist vorbei?“ Hermann verzieht die Mundwinkel. „Wenn hier in Spanien jemand Hippie sagt, meint er ‚Nichtsnutz‘, und
das hatte mit uns noch nie etwas zu tun“, sagt er und zieht aus einer Kiste, die in einer Schrankwand steht, worin sich mehrere Spiegeljahrgänge
stapeln, eine dicke Mappe mit Zeitungsartikeln hervor, jeden einzelnen hat Herrmann akribisch in eine Plastikhülle gesteckt. Davon, wie er und seine
Freunde das verlassene Dorf wieder aufbauten, erzählen die Ausschnitte der älteren Jahrgänge, und von einem internationalen Zirkusfestival, das sie in
den Burgmauern organisierten. Doch später folgen polemische Zeilen. Die ausländischen Hippies hätten sich unrechtmäßig der Burg bemächtigt, heißt es
plötzlich in den Schlagzeilen.
    „Da hat Felipe González gemerkt, welchen touristischen Wert dieser Flecken hat“, sagt Hermann und klopft mit seinem Zeigefinger auf einen Bericht, die
Nickelbrille rutscht auf die Nasenspitze. „Das Burgdorf gehört uns, doch von unrechtmäßig kann keine Rede sein“, sagt Hermann schließlich, während er
die Brille mit dem Zeigefinger zurechtrückt. Im Grundbuch seines Häuschens sei er als Eigentümer ausgewiesen, erklärt er stolz. „Viele der alten
Bewohner sind Ende der Achtziger gegangen, als es ungemütlich wurde. Ein Freund von mir hat sich ein Haus in Jimena dela Frontera
gekauft, die meisten gingen nach Deutschland zurück. Geblieben ist der harte Kern.“

    Gemächlich fahre ich durch den Korkeichenwald zurück zur Landstraße, auf der ich über Jimena nach Gaucín und dann weiter nach
Benalauría zu Barbara fahren will. Die späte Nachmittagssonne taucht die Landschaft in ein weiches Orangerot. Eigentlich hatte ich geplant, am selben
Nachmittag Anne zu besuchen, die mit der Organisation der Ateliertage in Gaucín beauftragt ist. Doch noch bevor ich den Korkeichenwald verlasse, rufe
ich sie an, um den Termin auf den nächsten Tag zu verschieben. Mein Kopf ist voller Eindrücke, und ich muss an Diegos Worte denken. Gewissensbisse, dass
ich eventuell nicht effektiv genug gearbeitet habe, wische ich schnell beiseite. „Mañana sera otro día – morgen ist auch noch ein Tag“, sage ich mir
laut das andalusische Lebensmotto vor und drehe die Musik auf. Paco de Lucías Gitarrenklänge erfüllen meinen Bus.
    Als ich bei Barbara ankomme, begrüßt sie mich stumm. Auf dem Kopf trägt sie ein Headset, den Laptop hält sie in der Hand. Seit kurzem gibt sie
Englischunterricht über Skype, und ich bin gerade mitten in eine Stunde geplatzt. Lautlos stelle ich meine Sachen ab und verschwinde unter der
Dusche. „Was hältst du davon, wenn du mir im Gasthaus Molienda bei ein paar Tapas von deinen Abenteuern erzählst?“, fragt Barbara, als ich aus dem
Badezimmer komme, der Unterricht ist vorbei.
    Kaum haben wir uns in dem gemütlichen Restaurant niedergelassen, klingelt mein Telefon. Jaime, Juan und Ara, die Freundin von Juan, sind gerade in
Benalauría angekommen, und auch sie haben noch nicht zu Abend gegessen, die drei gesellen sich gleich zu uns. Bald kreist unsere Unterhaltung nicht mehr
um die Künstler, sondern wir reden über Gott und die Welt. Ara ist mir gleich sympathisch. Sieist sehr klein, hat lange schwarze
Locken und einen Gesichtsausdruck, der von einem starken Charakter spricht. Sie arbeitet als Masseurin, hat chinesische Medizin und Homöopathie
studiert. Als ich ihr erzähle, dass ich am nächsten Tag die Galerien im Nachbarort besuchen will, ist sie gleich Feuer und Flamme. „Das ist ja total
interessant“, sagt sie. „Komm doch einfach mit“, antworte ich, und sie sagt begeistert zu.
    Es ist fast ein Uhr, als ich erschöpft neben Jaime ins Bett falle, eng umschlungen schlafen wir ein. Die Kirchturmglocken wecken uns am nächsten Tag

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