Ein Jahr in Australien
strohiges Gewusel aus Haaren, Gräsern und Staub, in vor Dreck strotzdenden Wanderschuhen steckten ziemlich zerkratzte Beine. Mir kam es vor, als hätten wir nicht Tage, sondern Wochen im Freien verbracht. Und das Beste war: Ich bereute keine Minute. EineDusche, so überlegte ich mit einem Blick auf die eigenwillige Schattierung meiner Fingernägel, würde trotzdem nicht schaden.
Ein paar Tage später landete ich auf der Gove Peninsula, dem nordöstlichen Zipfel des riesigen, von Aborigines verwalteten Arnhem Lands. Hier, in der Nähe der Minen-Stadt Nhulunbuy, war der Film „Yolngu Boy“ gedreht worden, hatte sich die erfolgreiche Band „Yothu Yindi“ gegründet, wurden Bilder gemalt, die bei Sotheby’s stattliche Preise erzielten. Immer mehr Familien hatten Orten wie Nhulunbuy und auch Darwin und Katherine in den vergangen Jahren den Rücken gekehrt. Sie versuchten, wieder fern dieser Zivilisation zu leben, mehr im Stil ihrer Vorfahren, zwar mit Fernseher und Kühlschrank, aber eben auch mit ihren Traditionen. In Arnhem Land, das ein ganzes Stück größer ist als Österreich, wohnten weniger als 20 000 Menschen, überwiegend Aborigines, zurückgekehrte und solche, die nie fort waren. „Auch nach Jahrzehnten im Top End bleibt Arnhem ein Rätsel für mich“, schrieb David Hancock in meinem Lieblingsbuch über die Region. „Ich mag die Ränder bereisen, doch die extrem unzugänglichen Gebiete im Zentrum – von denen die meisten nie ein Europäer betreten hat und die selbst Aborigines für abgelegen halten – sind eines der letzten Mysterien dieses Landes.“ Eines, das mir Respekt einflößte. Es kam mir schon wie ein Privileg vor, einen Blick auf das zu werfen, was Hancock die „Ränder“ dieser Wildnis nannte.
„Hello“, murmelte ein gutes Dutzend schwarzer Frauen in sehr bunten Kleidern und drückte uns die Hände. Wir störten beim Gottesdienst unterm Mangobaum, waren aber trotzdem willkommen. Die große Familie von Djalu Gurruwiwi ließ Fremde an ihrem Dorfleben teilhaben, gastfreundlich, offen–und gegen Bezahlung, das hatte der Clan von den white fellas gelernt. Djalu, ein respekteinflößender 70-Jähriger mit breitem Lächeln und italienischer Designer-Sonnenbrille,fertigte seit Jahrzehnten hochwertige Didgeridoos, die sie in dieser Gegend Yidakis nannten. Er bearbeitete die von Termiten ausgehöhlten Äste und machte aus ihnen tief und kehlig tönende Musikinstrumente. Seine Nichten, Neffen und Töchter waren Experten im kunstvollen Verzieren der Blasrohre. Immer mal wieder hatte er Yidakis auch an interessierte Besucher verkauft. Bis ihm Don, Besitzer einer Angler-Lodge im nahen Nhulunbuy, zeigte, dass seine Instrumente im Internet von diversen Anbietern vermarktet wurden, ohne dass er selbst einen Cent daran verdiente. Daraufhin hatte Djalu aufgerüstet. Mit Dons Hilfe stellte seine Familie eine eigene Seite ins Netz und schützte Djalus Arbeit als Marke. Ehe es andere taten, könnte ja auch er mit Touristen Geld verdienen, auf faire Art. Unter anderem deshalb ließ er an manchen Tagen Fremde am Alltag im Dorf teilhaben.
Die Männer fuhren mit Boot und Speeren zum Fischen raus. „Wenn sie etwas fangen, gibt es abends ein gutes Essen“, sagte Djalus Tochter Lena, eine schlanke junge Frau mit fröhlichen Augen und einem blau gepunkteten Kleid. Wenn nicht, gab es nichts. Sie lachte: „Wie in den alten Zeiten.“ Während die Männer in Blechkähnen davonzockelten, gingen wir Frauen zu Fuß. Wir wateten im Mangrovengestrüpp am Crocodile Creek durch den knietiefen Sumpf und stocherten mit Stöcken nach Krebsen, die sich angeblich im Schlick vergraben hatten. Lena und die Mädchen entdeckten sie an winzigen Bläschen, ich allerdings fand vor allem Mücken und Sandfliegen. Schlammschwarz, verschwitzt und zerstochen trug ich nach zwei Stunden einen einzigen mageren Krebs zurück zum Strand. „Macht nichts“, tröstete Lena und kicherte ein bisschen über mein gesprenkeltes Gesicht. Sie zeigte auf den Eimer der älteren Frauen: Muscheln, Krebse und Austern satt. „Wir teilen.“
Teilen war eines der schönen Gesetze der Yolngu, wie die Stämme im Nordosten Arnhem Lands hießen. Und zugleichein Zwiespalt: Teilten sie ihr Land mit den Rohstoffe abbauenden Minen, wurden ganze Landstriche zerstört. Ließen sie Fremde ihre malerischen Buchten leer fischen, hatten sie selbst nichts zu essen. Gäste mussten daher für die Region einen „Permit“ beantragen und so für die Erlaubnis zum Teilen
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