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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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Jahreszeiten. Und vorher, erlaubte ich mir eine neugierige Frage, was hatte der Mann mit dem Schlapphut vorher gemacht? Russ grinste etwas verlegen: Da sei er Mathelehrer gewesen. In New York. Ah. „Ich merkte irgendwann, dass Wandern einfach besser zu mir passt“, erklärt er. Alles lachte, sogar Phils schüchterner jüngerer Freund, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, kicherte.
    Am Ufer des Tümpels blühten lila glänzende Lilien. Zum Einrahmen schön, aber Sam wusste etwas Besseres. Er rupfte einen der glitschigen Stile aus dem Wasser und schälte ihn wie eine Banane. „Erfrischt und schmeckt gut“, sagte er und hielt uns den saftigen Stängel hin. In Manyallaluk wurde das Wissen der Vorfahren noch von den Alten an die Jungen weitergeben. Und manches teilten sie auch mit „white fellas“wie uns. Zu Beginn unserer Wanderung sah der Busch für mich eher monoton aus: schlanke Bäume, niedrige Sträucher, Spinifex-Steppe, Termitenhügel und noch mehr Bäume. Seit Sam mich hin und wieder am Arm zupfte – „Come, look!“ –, hatte sich dieser Eindruck ins Gegenteil verwandelt. Er zeigte mir, mit welchen Blättern man Schnittwunden heilen konnte, woran ich die Gräser erkannte, die unter der Erde köstlich süße Wurzeln hatten, und welche Bäume vor Mücken schützten. Bald schien jeder graue Ast ein Geheimnis zu bergen. Auch Phil, der irgendwann mal Ranger werden wollte, oder Künstler, wusste eine Menge. Meinen Fauxpas mit der indiskreten Namensfrage schien er nicht mehr übel zu nehmen. Er winkte mich rüber zu einem der Bäume, die wir sonst mieden, weil in ihnen stechende Ameisen hausten. „Keine Angst, look.“ Er zog einen Ast runter und überzeugte mich davon, dass selbst die fies beißenden Insekten mit dem grünen Hintern ihre nützliche Seite hatten: Er zerrieb ein Blatt mit einem ganzen Nest voller „green ants“ und hielt es mir triumphierend vor die Nase: „Gut gegen alles!“ Ich roch an dem quietschgrünen Mus und hatte das Gefühl, in einen Kübel Wick Vaporup mit einer Extradosis Limone zu fallen. Genial, grüne Ameisen gehörten ab sofort in die Hausapotheke.
    Vor einem Hügel blieben die Männer stehen. Die Sonne brannte, weit und breit konnte ich weder Wasser noch viel Schatten entdecken, dafür umso mehr Gras und rötliches Gestein. „Toller Rastplatz“, maulte ich vor mich hin und rieb mir den Schweiß von der Stirn. Dann hielt ich den Atem an . Die Wände des Plateaus waren über und über mit Zeichnungen bedeckt: Schildkröten, Hände, Bumerangs und weiße Mimi-Geister mit ausgestreckten Armen. Wir standen vor bis zu 9000 Jahre alten Felsmalereien. Sam erzählte leise von den Zeremonien, die der Jawoyn-Stamm an diesem Ort abhielt. Wir lauschten andächtig, sogar die vorlauten Kakaduslegten eine Schnatterpause ein. Hin und wieder suchte der Aborigine nach Worten, die es zwar in seiner Sprache, nicht aber im Englischen gab. „Schwer zu erklären für euch white fellas “. Damit hatte er recht. Heilige Steine, graue Störche, die von den Ahnen eines Mannes erzählten, schmerzhafte Mutproben, in denen Jungs zu Kerlen reiften. Mit jedem Satz wurde mir bewusster, wie fremd und rätselhaft diese Welt der Geschichten, Bilder und Riten für uns war – und wie seltsam den Aborigines unsere Sitten vorkommen mussten. Wir brachen auf, leise genug, um ein Känguru zu überraschen, das im schmalen Schatten eines Überhangs gedöst hatte und sich jetzt mit behäbigen Sprüngen in Sicherheit brachte. Na endlich. Gesehen hatte ich eines der Viecher im Freien und aus der Nähe. Das würde ich immerhin mündlich überliefern können. Um im Rucksack nach der Kamera zu wühlen, war es einfach zu heiß.
    Unsere letzte Etappe zu den Schluchten des Katherine-Flusses führte durch ein kleines Regenwaldgebiet – dicht, grün und wunderbar kühl. Die buntesten Schmetterlinge umflatterten Farne und Palmen, rot geflügelte Papageien segelten pfeilschnell über unsere Köpfe. Ich trank aus einer Quelle und hatte fast vergessen, dass man Mineralwasser eigentlich im Supermarkt kaufte. Seit Tagen waren wir niemandem begegnet. Entsprechend entgeistert und skeptisch beobachteten wir das Ausflugsboot, das uns am Ufer abholte: An Bord saßen fünfzig adrett gekleidete Flussfahrt-Passagiere, die uns ihrerseits anstarrten, als kämen wir von einem anderen Stern. Vermutlich sahen wir auch so aus: Russ’ blaues Hemd hatte sich nach drei Nächten im Busch grau-bräunlich verfärbt, meinen Kopf zierte ein

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