Ein Jahr in Australien
Reaktion der meistenGroßstädter auf meine Reisepläne. Andere fanden sie „very interesting“. Das sagten Australier gern, wenn sie etwas für komplett spinnert hielten, aber zu höflich waren, es zu sagen. Dass niemand, den ich gefragt hatte, selbst dort oben gewesen war, fand nun wiederum ich „very interesting“. Jenny zum Beispiel war schon kreuz und quer durch Queensland gereist, in Paris und natürlich Neuseeland gewesen. Sebastian liebte New York, Los Angeles und Paris. Chris hatte immerhin den Nachbarn in Bali und Thailand Besuche abgestattet, fand aber das Territory eindeutig zu exotisch. Nicht einmal Rob, der, wie ich inzwischen recherchiert hatte, eine Internet-Reisefirma besaß, kannte den Norden seines Heimatlandes. Er war immerhin einmal mit einem Kollegen per Learjet über den Uluru geflogen. „Beeindruckend“ fand er das und ergänzte pflichtbewusst, der Kakadu Nationalpark solle ja auch schön sein.
Mich machte diese Ignoranz eher neugieriger. Dass der Prinz genau jetzt auf seiner Quartalsvisite in Sydney vorbeireiten würde, hatte ich ja nicht ahnen können. Und das würde an meinem Job nichts ändern, so viel stand fest. „Logisch, fair enough“, nickte der Nomade und griff vom Futon aus nach der Teetasse. „Natürlich fährst du. Ich fliege Ende des Monats noch mal für ein paar Wochen in die USA. Und von dort aus wollte ich kurz nach ...“ Ich starrte ihn an, kicherte und brachte ihn dann mit einem Kopfkissen zum Schweigen. Unglaublich, dieser Mann! Wie nannten ihn noch gleich meine Freundinnen in Hamburg? Den Wahnsinnigen? Ich war sicher, dass sein Verstand prinzipiell in Takt war, nur der Einbau von Details wie Bodenhaftung oder Verlässlichkeit war bei seiner Herstellung schlicht vergessen worden. Das Gute war, dass ich ihn inzwischen nahm, wie er kam. Seine chaotische – oder sagen wir: sehr abwechslungsreiche – Lebensweise, bremste mich bei meinen Vorbereitungen fürs Northern Territory keine Sekunde.
Australiens Nordterritorium ist fast so groß wie Spanien, Italien und Frankreich zusammen: über 1,3 Millionen Quadratkilometer. Was selbst die an extreme Dimensionen gewöhnten Australier etwas unübersichtlich finden: Also nennen sie die weiten roten Ebenen im Süden des Bundesstaates „Red Centre“ und das nördliche Viertel „Top End“. Während des fast fünfstündigen Fluges nach Darwin musste ich meinen Sydneysider Freunden recht geben: Dies hier war sogar aus der Entfernung anders. Jedenfalls anders als alles, was ich bisher von Australien kannte. Aus der Luft erinnerten mich die menschenleeren Landschaften unter mir an einige der Aborigine-Bilder aus der Art Gallery, die mich faszinierten, aber die ich selten wirklich verstand: Tausende von Tupfen aus ockergelben Felsen lagen unter mir, mäandernde Flüsse, sporadisch eine schnurgerade Piste durch rötliches Nichts. Vor der Landung dominierten dann Grün- und Blautöne. Mangroven ragten aus türkis glitzernden Buchten, Bäche wurden breit wie der Bodensee, Schiffe malten weiße Streifen in einen enormen Hafen. Zwischen viel Grün blitzten rote Dächer. Willkommen in Darwin.
Es war schwül, heiß und mindestens 32 Grad. Die Standardtemperatur in Darwin, so belehrte mich mein Shorts tragender, vollbärtiger Sitznachbar: „Es ist immer 32 Grad in Darwin“, brummte er dann auf dem Weg zum Gepäckband noch. „Außer vor der Wet Season , da ist es manchmal auch 34. Und dann reden alle vom Wetter.“ Er tippte sich zum Abschied an seinen breitkrempigen Hut. „Take care, love, see ya later!“ Kein Zweifel, ich war inmitten der schönsten Outback-Klischees gelandet. Im Land der Land der Kängurus, Krokodile und echten Kerle mit speckigen Lederhüten. Aber, und darauf war ich noch mehr gespannt, ich war auch im Australien der Ureinwohner, die hier fast die Hälfte des Landes wieder selbst verwalteten. Mehr als ein Viertel der knapp 200 000 Northern-Territory-Bewohner waren indigenous – Eingeborene.Relativ viel, bedenkt man, dass Aborigines sonst nur zwei Prozent der australischen Bevölkerung ausmachten. Wo also, wenn nicht hier, würde ich etwas über diese Menschen, ihre Bilder und Geschichten von der mystischen Traumzeit mitbekommen? War nach 200 Jahren kulturellem Kahlschlag überhaupt noch etwas übrig von dieser jahrtausendealten Kultur? Wie waren Aborigines, wenn sie in der Natur lebten – und nicht an den Rändern der Großstädte mit Alkoholproblemen und Arbeitslosigkeit kämpften? Ich hatte endlos viele
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