Ein Jahr in Australien
fest verwurzelt im Hier und Jetzt. Außerdem unübertroffen australisch. „Ja, ja, all das, nur wirst du dafür leider nicht bezahlt, darling“, rief ich mich zur Ordnung und holte meine Gedanken zurück an die Tastatur.
Bei 28 Grad eine Erkältung zu bekommen war irgendwie lächerlich, also versuchte ich sie zu ignorieren und mit vielSalzwasser zu behandeln. Vergeblich. An Tag Drei lag ich flach, schniefte, trank mehr Ingwertee als Australier Bier und tat mir leid. Chris kam vorbei, saß mit Jenny auf meiner Fensterbank und versuchte mich aufzuheitern: Nächsten Mittwoch sei ein Barbie in Tama. Ach, wirklich? Wie aufregend. Nach der Anzahl von Grillfeten und Picknicks und Strandpartys, die wir diesen Sommer absolviert hatten, war mir der Sensationscharakter dieser Nachricht nicht ganz klar. „Und wieso an einem Mittwoch?“, brachte ich immerhin laues Interesse auf. „Australia Day, sweetheart. Nationalfeiertag. Landung von Captain Philipp und der ersten Schiffsflotte in Port Jackson. Geburtstag der jungen Kolonie. Nicht gerade ein Jubeltag für die Aborigines übrigens“, zählte Jen auf und schüttelte den Kopf. „Die hat’s aber wirklich erwischt.“ Chris lachte, die Erkältung werde schon wieder. „Das Barbie ist oben auf der Wiese über den Felsen, Blick über die Bucht. Blaues Meer, Wellen, Wein, Tamarama, darling … Weckt da nicht irgendetwas deine Lebensgeister?“ Sie lachte süffisant. Natürlich wusste ich, worauf sie anspielte, tat aber erst mal unbeteiligt. Mich überraschte, dass sie sich überhaupt noch an mein Interesse für den Herrn im Supermarkt erinnerte. Ich fächelte mir Luft zu und trank noch mehr Ingwertee. „Schöner Platz, sicher“, murmelte ich, und dann gab ich auf: „Und? Gehen da auch deine athletischen Schwimmer hin?“ Nichts sei sicher im Leben, unkte Chris ungewohnt philosophisch, aber auch nichts unmöglich. „Auf jeden Fall kann es ja nicht schaden, wenn du bis dahin wieder auf den Beinen bist.“
Auf denen wollte ich schon am übernächsten Tag wieder sein, denn ich musste für ein Interview nach Byron Bay. Den Flug hatte ich geschickterweise so gebucht, dass ich nach dem Job noch das Wochenende dort verbringen konnte. Ich kannte Byron von meinem ersten Job in Australien und mochte den Ort im Norden von Neusüdwales, womitich nicht die Einzige war. Die einst verschlafene Schlachthof-Stadt an der Küste hatten in den 70ern erst die Zurück-zur-Natur-Freunde, dann die Surfer für sich entdeckt und dann alle anderen. Inzwischen war es ein Muss-Stopp für jeden Rucksackreisenden und liebster Wochenendtrip für großstadtmüde Vielarbeiter aus Sydney und Brisbane. Außerdem war Byron das Traumziel aller Yoga-Studenten, Reiki-Meister, Trommler, Sänger, zukünftiger Filmstars, Bildhauer, Cannabis-Züchter, Friedensfreunde, Schnellimbiss-Feinde und erfolgreicher Schriftsteller. Paul-„Crocodile Dundee“-Hogan gehörte der größte Pub am Ort, und mittlerweile gab es zwischen Belongil und Watego’s mehr „Holiday Rentals“ als Wohnhäuser. Kurz: Der kleine Ort war nicht nur beliebt, er war drauf und dran, vor lauter Liebhabern erdrückt zu werden. Davon, nach Byron Bay zu ziehen oder besser noch ins Umland von Byron, träumten Rob und Jen und Cameron und jeder Zweite, den ich sonst in Bondi kannte. Und viele von denen, die genug Geld verdient hatten, taten es auch, weshalb Byrons Immobilienpreise längst mit Sydneys um die Wette kletterten.
Mir war dieser Boom eine Spur suspekt. Wenn nun jeder herzog, wäre es um die Idylle ohnehin bald geschehen. Andererseits konnte ich die Fans verstehen. Ich hatte mich nach meinem Interview zu einem Abendspaziergang zum Leuchtturm aufgerafft. Die tropischen Vögel, die Töne wie Peitschenhiebe produzierten, schnalzten in den Bäumen. Der Regenwald reichte an einigen Stellen noch bis beinahe ans Meer. Dank seiner eigensinnigen Bewohner war der Küstenstreifen rund um den Ort frei von Hochhäusern geblieben. Vom Meer aus sah man nur den langen, weißen Sandstrand und dahinter saftiges Grün. Mir schien, als gebe es in Byron noch immer mehr Ökoläden, Handleser und Bongospieler als Supermärkte und Videotheken. Im hügeligen Hinterland bauten Selbstversorger Kaffee und Gemüse an, grasten Küheund Schafe, wirkte die Welt schlicht ein Stück idyllischer als an den meisten anderen Orten der Welt. Esoterisch Bewanderte sagten diesem Fleck Erde zu allem Überfluss magische Kräfte nach. Das lag angeblich am Mount Warning, einem alten
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