Ein Jahr in Australien
down under anspruchsvollere Möglichkeiten gab, seine Zeit zu verbringen. Sydney hatte mehr Theater, als ich bislang geschafft hatte zu besuchen, es gab Ballett und eine grandiose Aboriginal Dance Company, dazu eine Oper, die immerhin als eine Art architektonisches Wunderwerk galt. Es fanden immerzu Konzerte statt, in vielen Pubs spielten an fünf Abenden pro Woche Bands, und im Kino liefen beinahe alle Filme, die ich sehen wollte. In der Art Gallery und anderen Museen konnte ich Nachmittage verbringen und ständig Neues entdecken, und die Galerienszene in Waterloo war nicht nur schräg und lebendig, sondern auch anspruchsvoll.
Am besten allerdings gefielen mir, vor allem im Sommer, die Veranstaltungen des „Sydney Festival“, das einen Monat lang eine Fülle von Konzerten, Theater-Events, Gastspielen und Ausstellungen auf die Bühnen der Stadt brachte. Drei Spektakel allerdings waren weder neu noch Avantgarde, sondern Jahr für Jahr wiederkehrend wie nette alte Tanten, dazu umsonst und draußen: Von einer überdachten Bühne aus wurden Jazz und Opern und Symphonien im Domain-Park gespielt. Die Wiese zwischen Hochhausfassaden und Hafen verwandelte sich dafür in eine Art Camp voller Decken, Schirme, Matten und Zelte, wo die Eifrigsten schon vormittags gute Plätze fürs abendliche Konzert belegten. Natürlich wurde auch dabei gepicknickt. „Sydney bevölkerten müßige junge Leute in Hemdsärmeln, die den lieben langen Tag picknickten“, schrieb Rudyard Kipling nach einer Australienreise 1937. Er wäre begeistert gewesen zu sehen, dass sein Eindruck noch immer aktuell war. Auf der weitläufigen Grünfläche lungerten Zigtausende von Musikfans zwischen Klappstühlen und Eskys voller Delikatessen: Lachshäppchen, Quiches, Salate, Sandwiches, Sektkühler, Biere, Saft,Schüsseln mit frischen Krabben, Mandelkuchen, Brownies, Baguettes und Dips. Ich war einen Moment lang nicht ganz sicher, ob dies nun ein Gourmet- oder eine Musikereignis war. Aber dann setzte das Orchester ein und rundum wurde es augenblicklich still.
Chris und ich hatten uns bei den ersten Klängen der Symphonie auf ein winziges Stück freien Rasens zwischen zwei größere Gruppen gemogelt. Mit unserer Cracker-Packung und einer Flasche Wein waren wir natürlich peinlich unterversorgt. Aber das machte nichts. Rundum hatte eh jeder viel zu viel mitgebracht, und alle freuten sich, zu teilen. Tschaikowsky-Klänge schwirrten durch die warme Abendluft. Hoch über uns drehten irritierte Fledermausschwärme ihre Kreise. Und zum Abschluss schoss, weil’s so schön war, von den Hochhäusern ein kleines Feuerwerk gen Himmel.
„Oh my God“, seufzte Christine, „how amazing!“ Und ich gab ihr recht, es war schön. „Das gibt es seit Jahren, aber ich habe noch nie geschafft, herzukommen“, gestand sie und meinte dann, schon allein dafür seien Neubürger wie ich nützlich. Ach ja? „Ja, du bist immer neugierig, weißt, was wo los ist und willst ständig Neues ausprobieren.“ Auf dem Rückweg zeigte allerdings sie mir etwas Neues, nämlich was in Bondi Junction gegen elf Uhr abends im Supermarkt so los ist. „Wie, jetzt willst du einkaufen?“, fragte ich entgeistert. „Mitten in der Nacht?“ Ja, das wollte sie. Ihr Kühlschrank sei leer und die Tage seien zu heiß und zu voll, ich solle mich nicht so anstellen, das gehe ganz schnell auf dem Heimweg. In der Tat war die Tiefgarage fast unheimlich leer, durch den sonst immer vollen „Coles“-Markt schoben nur einzelne Nachtschwärmer ihre Wagen. So ging Einkaufen wirklich schnell. Chris füllte an der „Fruit-&-Nuts“-Theke eine Tüte mit Cashew-Nüssen und Pistazien, aus der wir uns reichlich bedienten, während wir den Wagen beluden. Dann sagte eine tiefe Stimme hinter uns „Hello Ladies“, und Chris fiel fast inOhnmacht. „Oh my God!“, quietschte sie und drehte sich um als habe sie eine Schlange gebissen. „Thank God. Du bist das. Und ich dachte, mir sei schon wieder die Nuss-Polizei auf den Fersen!“ Der Typ und ich sahen sie fragend an. „Letzte Woche wollte mich hier einer fast verhaften, weil ich von meinen Einkäufen genascht hatte!“, erzählte sie und griff noch einmal tief in die Cashew-Tüte. Die beiden amüsierten sich königlich und begannen, über Wochenenden, das Wasser und die Ferien zu plaudern. Dann fiel dem Herrn ein, dass da noch wer herumstand, und er drehte sich fragend zu mir. „Ah sorry“, erinnerte sich Chris ihrer höflichen Manieren. „Meine Freundin Julica
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