Ein Jahr in Australien
badend und picknickend. Seit die Gemeinde den Waisen am Strand Alkoholverbot erteilt hatte, war die Party, wie Einheimische fanden, zivilisierter geworden. Geschrumpft schien sie nicht zu sein. Den Strand füllten tatsächlich Zehntausende von jungen Leuten, die außer Badehosen rotweiße Santa-Claus-Mützen trugen.
Ins Wasser zu springen war trotzdem herrlich, und viel mehr wollte ich auch nicht. Denn anschließend wartete meine eigene Waisenfeier: Kathy, Herz und gute Seele des Surfclubs, hatte all die, die keine Familie in der Nähe hatten, auf ihre Dachterrasse eingeladen. In leichten Kleidern und offenen Hemden genossen wir unter flatternden Sonnenschirmen die Brise und bewunderten den Blick über Bondis Dächer aufs Meer. Wir grillten eine riesige Forelle, aßen Baguettes und Berge von Garnelen mit Zitrone und Mayo-Dip und tranken „Champagne“ oder Bier. Genau wie die anderen Australier auch. Dass wir dazu gezackte Papierhütchen aufsetzen mussten, die wir vorher quietschend aus bunten Knallbonbons befreit hatten, fand ich etwas albern. Aber natürlich sagte ich das nicht. Schließlich war ich einmal mehr heilfroh, ein Lifesaver zu sein. Diesmal vor allem, weil dieClubbies mich vor allzu arger Sentimentalität retteten. Obgleich das gar nicht so schwer war: Heiße Weihnacht unter strahlend blauem Himmel, frische Krabben, peinliche Papierhüte und kurze, dünne Kleider – dieses Fest war so grundsätzlich anders als alles, was ich sonst zu diesem Anlass erlebt hatte, dass mir nicht mal nach drei Gläsern Sekt andere Welten in den Sinn kamen.
Froh, dass es vorbei war, war ich dennoch. Allein schon weil ich „Merry Christmas“ nicht mehr hören konnte. Dieser Wunsch hatte endlich für dieses Jahr seine Pflicht getan, um mehr oder weniger übergangslos durch „Happy New Year“ ersetzt zu werden. Auch das wurde für meinen Geschmack zu oft und zu lange wiederholt. Zunächst aber war es eine wohltuende Abwechslung. Seb hatte darauf bestanden, ich möge meinen „sandig-strandigen Allerwertesten doch bitteschön zur Feier des Tages mal aus Bondi fortbewegen“ und mit ihm, seiner Freundin Liz und ein paar anderen netten Leuten auf dem Dach von Freunden feiern. Zwischen New Year’s Eve in Sydney und Silvester in Deutschland gab es einen feinen, aber entscheidenden Unterschied. Nicht weil wir unten rechts auf dem Globus das alte Jahr schon zehn Stunden eher hinter uns hatten und damit das neue als „erste Großstadt der Welt“ begrüßten. Anders war vor allem, dass nicht privat geknallt werden durfte: keine Raketen, keine Chinakracher, keine Feuerräder. Wäre ich 25 Jahre jünger gewesen, hätte ich dieses Verbot gehasst. Wo blieb der Spaß, wenn man keine Knaller in des Nachbarn Briefkasten werfen konnte? Nicht hinter Hecken hocken und vorbeifahrende Radler mit Knallfröschen erschrecken durfte? Jetzt aber fand ich es erholsam wie eine Liegekur in Davos, dass mir nicht schon Tage vor dem Jahreswechsel schwefelige Böller um die Ohren flogen. Denn natürlich gab es Ersatz. Privates Zündeln war nicht erlaubt, aber um Mitternacht stieg ein großes, offizielles Feuerwerk am Hafen. Und, sicher ist sicher, eineszum Üben bereits um neun Uhr. „Das ist für die Kinder“, erklärte mir Liz. So hätten auch Kinder, die früh ins Bett müssten, ihren Spaß. „Träum weiter“, höhnte ihr Liebster und zog seine hübschen, dunklen Augenbrauen zusammen. „Ich sage euch: Das 9-Uhr-Feuerwerk wird nur deshalb abgefackelt, weil halb Sydney um Mitternacht nicht mehr gerade aus den Augen schauen kann.“ Alles lachte, und wir stießen mit unserem mitgebrachten Verdelho vom Margaret River an. Sebastian trank selbst gern Alkohol, vor allem teuren, aber dies in weitaus zivileren Mengen als viele seiner Landsleute.
Nicht nur zur Waisen-Weihnacht in Bondi war Akohol verboten, auch an New Year’s Eve wurden in den Innenstadtparks rund um die Oper die Taschen nach Flaschen kontrolliert. Offenbar weil die Erfahrung zeigte, dass zu viele Feiernde ihre Grenzen nicht kannten. Ich jedenfalls war dankbar, dass ich mich auch ohne Obrigkeitskontrolle mit Wasser und Wein durch die Party gehangelt hatte. Denn wer dieses mitternächtliche Schauspiel verpasste, weil er sternhagelvoll war, tat mir leid. Im Hafen tanzten die Lichter von tausend kleinen Booten, Yachten und stattlichen Dreimastern, und schon das war ein göttliches Bild. Um Punkt 12 brach darüber ein unvergleichlicher Zauber los. Sterne flogen in die warme Nacht,
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