Ein Jahr in Australien
blinkende Kreise und Feuerbälle rotierten über der Hafenkulisse. Bunt leuchtende Tupfen regneten von den mystisch erleuchteten Stahlbögen der Harbour Bridge ins Wasser, signallichthelle Spiralen stiegen von den Dächern der Wolkenkratzer in den Himmel. Es nahm kein Ende. Happy New Year. Wir stießen noch einmal an. Das war mit Abstand das schönste, dramatischste und am fantasievollsten arrangierte Feuerwerk, das ich je gesehen hatte. Aber mir gefiel auch, dass eine Stunde später wieder Ruhe war und mir auf dem Heimweg keine Spätzünder durch die Speichen flogen. „Hello New Year!“, sang ich gut gelaunt vor mich hinund radelte unter den dicken Platanen von Rose Bay durch die Nacht. Dann murmelte ich noch grinsend: „Sorry, neues Jahr, ich begrüße dich zwar ungeküsst. Aber ich bin sehr gespannt auf dich!“
Januar
Meine Aufwachträume am nächsten Morgen zerklingelte das Telefon. Es war kurz nach Mitternacht in Deutschland, Freunde riefen von einer Party aus Köln an und sangen „Happy New Year“ in den Hörer. Es schepperte, Gläser klirrten, jemand musste auf „Lautsprecher“ geschaltet haben. „Wie isses denn, das Neue?“ Gute Frage an eine alte Häsin, schließlich währte mein Jahr schon länger als einen kompletten Arbeitstag. Also berichtete ich mit Blick aus dem Fenster: „Sieht gut aus. Sonnig und heiß ist es auch schon. Aber dieses Feuerwerk letzte Nacht! Das hättet ihr sehen müssen!“ „Haben wir“, hallte es zurück. Es war in Ausschnitten im Fernsehen gezeigt worden, oh Wunder der Technik. Was ich jetzt machen würde, wollten sie noch wissen, und darauf antwortete ich ausweichend, vor allem, um den Neidfaktor nicht unnötig zu erhöhen. Während sie durch die neblige rheinische Nacht nach Hause stolperten, würde ich eine frische Mango frühstücken, das Brett wachsen und mir Sunblock ins Gesicht schmieren. Dann würde ich die Gunst der Stunde nutzen und ein paar schöne frische Jahresanfangswellen reiten. In der Hoffnung, dass die Massen ihre diversen Kater pflegten und ich das blaue Meer für mich alleine hatte.
Abends holte die Technik zu einem zweiten Überraschungsschlag aus: SBS, mein kulturbewusster Weltbürger-Sender, übertrug das Neujahrskonzert aus Wien. Ich drehte laut, wie wunderbar! Ein Straußfan war ich nicht unbedingt, aber Kitsch hin, Walzer her, diese Tradition gehörte nun malzu Neujahr wie das Über-Bord-Werfen guter Vorsätze zum 2. Januar. Als dann wieder das Telefon klingelte, hörte ich die exakt gleichen Walzertakte weder zeitverzögert noch beschleunigt am anderen Ende der Leitung in Berlin. Schon fast unheimlich, diese globale Vernetzung. „Und da sage noch einer, den Australiern fehle der Sinn fürs Kulturelle“, witzelte mein Bruder. Ich stellte den Apparat leiser und schwor, mich auf keine Diskussion einzulassen. Mit dem Vorwurf, aus Australien käme wenig aufregendere Musik als Didgeridoo-Gebrumm und Dudelsackpfeifen heimwehkranker Schotten, hatte ich mich schon häufiger auseinandersetzen müssen. Derlei gut informierte Kreise hielten INXS oder Midnight Oil gern für Amerikaner und AC/DC für britisch. Dabei waren die Jungs alle sozusagen fast (Ex-)Nachbarn von mir. Meinen Bruder konnte ich immerhin damit beeindrucken, dass „La Stupenda“ alias Joan Sutherland aus Sydney kam. Und Errol Flynn war ja wohl auch ein kultureller Export erster Güte, oder? Die Australier litten gewiss nicht an einem Mangel an Talenten. Allerdings schmerzte sie, dass, wer richtig berühmt war, über kurz oder lang das Land verließ: die Operndiva in die Schweiz, Olivia Newton-John Richtung Amerika, Marc Newton designte in London. Russel Crowe musizierte zwar sogar manchmal in einer Jazzbar in Newtown, war insgeheim allerdings Neuseeländer. Unzweideutig australisch und keineswegs auf dem Sprung war, zum Leidwesen von knapp der Hälfte der Bevölkerung, John Howard, seit 1996 Sitzfleisch beweisender Regierungschef. Aber den kannte außerhalb Australiens ohnehin nur eine Minderheit. Und Premierminister gelten selbst „down under“ nicht als exportfähiges Kulturgut.
Ich fand den viel zitierten Vorwurf von der fehlenden Kultur ähnlich langweilig wie die Klischees, dass Franzosen nie Fast Food essen oder Italiener großartige Liebhaber sind. Mir schien, den „Australien hat keine Kultur“-Satz prägtenüberwiegend Besucher, die einfach lieber faulenzten oder surften. Was ja völlig in Ordnung war. Aber ihr schlechtes Gewissen ließ sie verdrängen, dass es auch
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