Ein Jahr in Lissabon
Wohnung renoviert, en détail zu erklären, wie man am besten tapeziert und wo und was genau man dafür einkaufen muss. Und wenn selbst der Kumpel nicht erreichbar ist, weil er sich gerade in einer herabgerollten Tapete verwickelt hat, dann lässt sich auch mal schnell eine SMS schreiben – der Bus kennt den Weg doch sowieso von alleine. Bisweilen muss das große Vehikel zwar atemberaubend knapp durch die schmalen und stets zugeparkten Straßen gefädelt werden – aber ist nicht das ganze Leben eine einzige Millimeterarbeit? Egal, ob es ums Busfahren, SMS-Schreiben oder Tapezieren geht?
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Millimeterarbeit leistet auch die Skala des Thermometers, die Stückchen für Stückchen nach unten klettert – jetzt, im Dezember, ist es kalt geworden. „Está friou“, tönt es morgens wie ein unaufhörlich sich fortsetzendes Echo aus allen Winkeln der Stadt: Wenn zwei Menschen aneinander vorbeigehen, werfen sie sich die Formel wie einen Geheimcode zu. „Friou“, kalt, ein Wort, das von den Portugiesen miteiner gehörigen Portion Empörung,bisweilen auch Fassungslosigkeit untermalt wird. Die Wintermäntel werden aus dem Schrank geholt, was die Stadt mit einem leichten Geruch nach Mottenkugeln überzieht und sich mit dem Duft nach gerösteten Kastanien mischt, die nun an allen strategisch wichtigen Punkten verkauft werden. Da wir uns auf der Skala um die zehn Grad bewegen und die Sonne sich trotzdem täglich, meist sogar ganztägig blicken lässt, kann jeder nördliche Bewohner dieser Erde nur müde lächeln. Weil aber die portugiesischen Häuser keine Heizung besitzen, wird es nachts, wenn die Temperaturen auf null absacken, tatsächlich empfindlich kalt. Die Schaufenster sind vollgestopft mit Decken aller Art, elektrische Heizkörper werden durch die Straßen gerollt, diejenigen Hunde, die einen Besitzer haben, dürfen nun mit einem selbstgestrickten Rollkragenpullöverchen Gassi gehen – und mir wird endlich die Vorliebe der Portugiesen für gefütterte Morgenmäntel klar, die in den alten Läden der Baixa verkauft werden: Abends zu Hause angekommen, werden sie einfach über die Klamotten gestreift und als herrlich altmodischer Hausrock getragen. Marta besitzt einen mit rassigem Leopardenmuster, der von Jorge ist in schlichtem Grau-Blau gehalten.
Auch jetzt trägt Marta ihren Hausrock, während wir in der kleinen Küche stehen, die heute vor Lebensmitteln überquillt. Es ist Weihnachten, und Marta zeigt mir, wie man das traditionelle Weihnachtsgericht, den Bacalhau cozido, kocht. „Então. Zuerst legen wir drei Zwiebeln ins Wasser, erhitzen es, dann geben wir die Kartoffeln, das restliche Gemüse und eine kräftige Prise Pfeffer dazu, lassen es ziehen und nach ungefähr zehn Minuten darf unser Kerlchen schwimmen gehen.“
Ich bin nur bedingt ein Freund von Bacalhau, aber in Portugal bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mich gutmit ihm zu stellen. Wer hier einen Supermarkt betritt, muss sich erst einmal an den buchstäblich umwerfenden Geruch gewöhnen, der vom Stockfisch, welcher in riesigen getrockneten Stücken gestapelt zum Verkauf bereitliegt, ausgeht. Und wer im Restaurant ein Gericht bestellen will, der findet auf den Speisekarten bisweilen sogar eine ganze Seite, die ausschließlich den Gerichten mit Bacalhau gewidmet ist. Manche behaupten, es gebe 365 verschiedene Rezepte, für jeden Tag des Jahres eines, doch Marta lacht nur. Es seien höchstens hundert, sagt sie, wiegt dann aber nachdenklich den Kopf und fügt hinzu, dass sie es eigentlich nicht so genau wisse und es wahrscheinlich niemand definitiv sagen könne. „Denn es werden ja ständig neue Rezepte erfunden und die alten variiert.“ Von den vielen Versionen, die ich bisher durchprobiert habe, weil ich uns beiden, dem Fisch und mir, eine Chance geben wollte, mag ich am liebsten den Bacalhau à Brás, ein Gericht mit geraspelten Kartoffeln, Ei und Zwiebeln, außerdem Bacalhau com Natas – da wird er mit viel Sahne, Gemüse und Kartoffeln als Gratin serviert – und Pastéis de Bacalhau, eine Art Fisch-Kroketten, die als sogenannte Salgados, gesalzene Kleinigkeiten, in den Pastelarias verkauft werden. Also, wenn ich’s mir recht überlege, schmecken mir die Varianten am besten, in denen der Bacalhau als solcher gar nicht mehr wirklich zu erkennen ist. Weil der „fiel amigo“, der treue Freund, in Portugal aber gewissermaßen zur Familie gehört, ist er selbstverständlich auch an Weihnachten mit von der Partie. Und ganz gegen meinen
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