Ein Jahr in Lissabon
Schokoladenkuchen gebacken. Inmitten der Werke, die noch nicht „entjungfert“ wurden und auf die ersten Besucher warten, inmitten des alten Gebäudes, das so viel Geschichte in sich trägt, tafeln wir. Es wird gekaut und geredet, getrunken und geschimpft. Beschwerden werden laut über eine Kulturförderung, die es nicht gibt. Die jungen Volontäre, allesamt gut ausgebildete Kunsthistoriker, die hier arbeiten, ohne etwas zu verdienen, sind zornig, dass es so wenige Möglichkeiten für sie gibt, einen Job zu finden. „In Portugal sitzen die Direktoren der Museen vierzig Jahre lang auf ein und derselben Stelle. Und oft haben sie nicht einmal Ahnung von dem, was sie tun.“ – „Ja, stimmt, die Chefin vom Y-Museum ist gar keine Kunsthistorikerin, die ist eigentlich Architektin.“ – „Der vom XY auch.“ – „Es ist zum Kotzen.“ – „Und im Moment fließt das ganze Geld nach Porto ins neue Konzertzentrum. Millionen! Allein das Design der Saisonbroschüre hat Unmengen verschlungen. Schönes Vorzeigeprojekt fürs Ausland.“ Ich erfahre, dass das Kulturministerium vor wenigen Jahren aufgelöst wurde und es nun nur noch ein Kultursekretariat gibt, das dem Bildungsministerium unterstellt ist und deshalb wenig Einfluss hat. Absurd, so denke ich, in einem Land, in dem es mir oft scheint, als sei jeder einzelne Stein von historischer Bedeutung, als trage jedes zweite Gebäude die Auszeichnung Weltkulturerbe.
Ich frage die Künstler, was es heißt, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Tiago, der Malereistudent mit demdeutschen Gen und der dunklen Hornbrille, erzählt, dass viele seiner Malerei-Kommilitonen Deutsch lernen in der Hoffnung, irgendwann nach Deutschland ziehen zu können – sie rechnen sich dort mehr Chancen aus. „Hier interessiert sich doch sowieso niemand für Kunst“, behauptet Tiago. „Die wollen hier doch alle nur Spaß haben.“ Ein Freund von ihm ist bereits nach Leipzig übergesiedelt: „Am Anfang ist er so oft wie möglich Blut spenden gegangen, um ein bisschen Geld reinzukriegen, und inzwischen kann er mehr oder weniger von seiner Kunst leben.“ Nuno, der in der neuen Ausstellung eine Videoprojektion präsentiert, relativiert Tiagos Sicht – denn er hat bereits in Deutschland gelebt. Sechs Jahre lang hat er versucht, in Berlin als Künstler Fuß zu fassen, ist dann aber nach Portugal zurückgekehrt: „Das System in Berlin war sehr verschlossen, ich habe es nicht geschafft, reinzukommen. Und machen wir uns doch nichts vor: Es ist nirgends leicht, als Künstler zu überleben. Ich glaube nicht, dass es hier so viel schwieriger ist als anderswo.“ Wir sitzen, essen und reden, trinken noch eine Flasche Wein, während der Palast uns dabei zuschaut. Mir scheint, er genießt es, dass wir ihn so lebendig benutzen.
Am nächsten Tag werden die Türen geöffnet, die Säle sind so voll, wie ich sie sonst nicht erlebt habe, 500 Besucher schieben sich durch die Ausstellung hindurch und in den Garten hinein, wo Tiago und ich Bier zapfen und an die Gäste verteilen. Es sind unterschiedliche Menschen, Künstler, Kuratoren, Kulturinteressierte, Freunde und Angehörige. Victor kommt zu Besuch, hat aber mehr für den Marmor an den Wänden übrig als für die zeitgenössische Kunst („Caramba, das ist Marmor aus Mafra!“), Inês und Teresa schauen vorbei und nach dem Ende der Vernissage feiern wir noch lange, tanzen auf dem alten Parkett, umuns gebührend von den Künstlern zu verabschieden, die eine Zeit lang zu Gast waren im Palast. Die eine Zeit lang seine Seele neu belebt, sein Inneres verändert haben.
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Auf dem Nachhauseweg, es ist schon tiefe Nacht, bleibe ich stehen. Wieder einmal. Immer an derselben Stelle – vor dem Schaufenster meines Lieblings-Cabeleileiro. So, wie in Lissabon an jeder zweiten Ecke eine Pastelaria oder eine Mercearia aus dem Boden ragt, tummelt sich alle zwanzig Meter ein Frisör. Vielleicht sogar alle fünfzehn Meter. Es gibt „trendige“ Schuppen wie in jeder anderen Stadt auch – und es gibt Cabeleileiros, die so einzigartig sind, dass sie sich nur hier finden lassen. Fossile, die wie aus einer anderen Zeit konserviert scheinen: In den Schaufenstern vergilben die Modellfotos neben den Kolorierungspackungen von Schwarzkopf und Wella, riesige Trockenhauben schweben wie Ufos im Raum, uralte muschelförmige Waschbecken schlummern in der Ecke, und entlang den Spiegeln reihen sich monströse, üppig ausgreifende Sitze. Meist sind die Läden für Männer und
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