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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Roth
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die für Frauen streng getrennt, die Arbeiter dieser Zunft haben sich spezialisiert, und mir scheinen die Geschäfte für die Herren noch schöner und anachronistischer zu sein als die für die Frauen.
    Eines ist klar: Ich kann nicht in Lissabon gelebt haben, ohne einmal bei einem solchen Frisör gewesen zu sein. Aber nicht nur, um vorsichtig die Spitzen kürzen und ein bisschen nachstufen zu lassen, so, dass es keiner merkt. Nein, wenn ich solch einen Frisör besuche, dann muss ich ein radikales Zeichen setzen, einen buchstäblichen Schnitt riskieren und die lange Mähne abschneiden lassen. Seit Monaten strapaziere ich meine Umgebung mit dieser fixenIdee. Alle raten mir ab. „Estás maluca? Bist du wahnsinnig? Die schönen langen Haare! Und wenn schon, dann nicht bei einem traditionellen Frisör. Geh zu X oder geh zu Y, aber nicht in einen solchen Laden.“ Mein Kollege Tiago schlägt mir vor, seinen hippen brasilianischen Frisör auszuprobieren, aber ich träume weiter von einem Ausflug in die Vergangenheit.
    Der Ausflug in die Vergangenheit hat, von meiner spielverderberischen Umwelt abgesehen, ein nicht zu unterschätzendes Problem: Mein Lieblings-Cabeleileiro ist in Wahrheit ein Barbeiro, ein Männerfrisör. Ich müsste ihn also überhaupt erst einmal überreden, sich meinem Frauenhaar zu widmen. Dieser knifflige Aspekt wiederum ist es, der nun doch noch Tiagos Interesse weckt, als wir zwei Tage später im Produktionsraum des Palastes die Regale mit den Werkzeugen neu sortieren: „Está bem“, eröffnet er mir plötzlich, „wir gehen da jetzt gemeinsam hin. Du lässt dir die Haare schneiden und ich lasse mich mal so richtig schön rasieren.“
    Nach der Arbeit schauen wir beim Frisör vorbei, der einen weißen Kittel und perfekt gegelte Haare trägt, und ich schildere ihm mein Anliegen. Er mustert mich dezent und erklärt der Estrangeira dann freundlich, dass es sich hier um einen Frisör für Männer handle, das stehe auch draußen auf dem Schild über der Tür. Ja, das wisse ich, aber mir gefalle der Laden so unglaublich gut, und ich wolle ihn deshalb fragen, ob er nicht eine Ausnahme machen könne. Der Frisör ist verwirrt. Ob ich nicht verstanden habe: Er sei ein Frisör für Männer und deshalb auf Männerhaare und Männerfrisuren spezialisiert. Doch, ich habe verstanden, aber ich sei sicher, dass er auch meine Haare hinkriegen könne. So viel ausländischer Sturheit muss man vielleicht mit einem persönlichen Geständnis begegnen, denktsich der Frisör und offenbart mir deshalb, dass die einzigen weiblichen Köpfe, die er seit Jahren frisiert habe, die seiner Frau und seiner beiden Töchter seien. Das ist der Moment, den Tiago beim Schopfe packt: Ach, das sei ja großartig, dann würde er doch bestimmt auch die Haare seiner Amiga aus Deutschland schön geschnitten kriegen. Der Frisör fühlt sich überrumpelt und sagt: Nein. Meine Augen, die noch einmal sehnsüchtig über die Waschbecken und Spiegel wandern, füllen sich mit Tränen – und das Herz des Cabeleileiro mit den perfekt gegelten Haaren auch. Er wird weich. Ob es denn wirklich unbedingt hier sein müsse? Er könne mir einen exzellenten Frauenfrisör empfehlen. Ja, es müsse hier sein. Er atmet tief durch. Na gut. Aber wirklich nur dieses eine Mal. Wir dürften es niemandem weitererzählen. Und wir müssten morgens um acht Uhr kommen, wenn der Laden eigentlich noch geschlossen ist. Die Spiegel lächeln uns zu, die Sessel laden uns ein, até amanhã also, bis morgen!
    Am nächsten Tag betrete ich voller Herzklopfen mit Tiago den Laden, wo uns der Cabeleileiro mit den perfekt gegelten Haaren und sein Auszubildender mit nicht minder perfekt gegelten Haaren erwarten. So leer und ganz ohne Kunden wirken die Spiegel plötzlich nüchtern und die Sessel angriffslustig. Wie Krallen scheinen sie ihre Sprungfedern auszufahren, als ich mich auf ihnen niederlasse, und die Wände reflektieren das Echo meines nervösen Pulsschlags, während der Frisör mich nun, so prosaisch, als würde ich an der Metzgerei-Theke ein paar Scheiben Schinken kaufen wollen, fragt, „was es denn sein soll“. „Cortar, kürzen“, stammle ich, und dann stockt mir der Atem, denn ich überlege, ob es nicht vielleicht besser ist, einfach ein Foto vom Frisör und mir zu machen und ganz schnell wieder die Flucht zu ergreifen. „Então, cortar. Mas como – aber wie?“,bohrt der Frisör weiter. „Assím“, sage ich, „so“, und halte, weil es mir die Sprache nun komplett

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