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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Roth
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salonfähig machte, indem sie ihn an den Hof brachte. Dass er im Laufe des 20 . Jahrhunderts seinen verruchten Ruf verlor, in Zeiten der Diktatur aber dazu instrumentalisiert wurde, das Volk zu indoktrinieren – und deshalb nach der Nelkenrevolution zunächst gemieden wurde, ehe sich ein paar junge Fadistas daran wagten, ihn wieder aufleben zu lassen. Und dass viele neue Bands den traditionellen Fado als Quelle der Inspiration nutzen, um andere musikalische Formen und andere stilistische Ausprägungen zu suchen – was sich erfrischend auf die Entwicklung und den Reichtum der portugiesischen Musikauswirke, den Puristen allerdings ein Dorn im Auge sei.
    Während ich nach der Pause weiter zuhöre und die virtuosen Finger über die Saiten der Guitarra portuguesa huschen sehe, denke ich darüber nach, dass ich Lissabon nun in vielerlei Hinsicht über die Ohren kennengelernt habe. Mir sind die Geräusche dieser Stadt vertraut: die Schiffshupen, die morgens vom Tejo heraufdringen, wenn es neblig ist, das Rattern der Eléctrico, der kleinen gelben Tram, den metallenen Klang der Gaskartuschen, wenn sie in kleinen Lieferwägen über die Pflastersteine holpern, das Geschrei der Händler auf dem Feira da Ladra, das Geklapper des Geschirrs in den Pastelarias, die Stimme von Nadador Salvador über Wasser und unter Wasser, das Hundegebell. Ich kenne nun aber auch die vielfältigen musikalischen Auseinandersetzungen mit Lissabon, die Gesänge der Fadistas, die Kompositionen, die für diese Stadt und in ihr und aus ihr heraus geschrieben wurden. Ich habe nun meinen ganz persönlichen Soundtrack zu Lissabon.
    ✽✽✽
    Auch bei der Arbeit höre ich bisweilen Fado – sehr zum Ärger meiner Kollegen, die behaupten, ich wolle sie mit diesem „altmodischen Gejaule“ foltern. Doch im Moment haben wir so viel zu tun, dass musikalische Ablenkung nicht schaden kann – die Vernissage Ende des Monats rückt näher, und somit laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Vier Wochen lang war der Palast für die Besucher geschlossen, wir haben die Werke der vorangegangenen Ausstellung abgebaut, registriert, in große Holzkisten verpackt und entweder an Galerien und Museen weiterverschickt oder übergangsweise in unseren Räumen gelagert. Mit viel Quälereihaben wir eine riesige Holzkonstruktion im Garten zersägt und die Stücke im Materialfundus des Palastes verstaut – vielleicht kann man sie irgendwann gebrauchen; da es kein Geld gibt, wird sorgsam recycelt. Tagelang haben wir mit Spachteln Wachs vom Boden entfernt und somit ein Werk einer brasilianischen Künstlerin für immer dem Müll anheimgegeben. Wir haben geputzt und das 200 Jahre alte Parkett geölt, das so gierig getrunken hat, als sei es am Verdursten gewesen. Wir haben viel diskutiert, denn das gehört in Portugal zu jeder Arbeitshandlung dazu – und weil ich die Diskussionen bisweilen ungeduldig mit dem Kommentar „Nun lasst uns doch einfach anfangen!“ unterbrochen habe, trage ich neuerdings den Spitznamen „o pragmatismo alemão – der deutsche Pragmatismus“. Wir sind erschöpft von der anstrengenden körperlichen Arbeit, haben Muskelkater und geschwollene Hände.
    Und nun sind die neuen Künstler angekommen und die „desmontagem“ mutiert zur „montagem“. Wir schlagen Nägel in die Wand, um eine Sammlung vieler kleiner Bilder aufzuhängen, seilen eine Leinwand von der Decke ab, die schließlich wie unsichtbar im Raum schweben soll, stellen Videoprojektoren auf und justieren sie stundenlang, beraten uns über den Umgang mit Licht, machen wandgroße Passepartouts für die Projektion, streichen Türen weiß, die vorher braun waren, hieven auf riesige Metallwände gedruckte Radierungen in den weißen Saal, bauen eine Plattform für das Werk einer belgischen Künstlerin, suchen die Bücher aus, die auf dem Büchertisch bereitgelegt werden. Und drucken am Ende die Schilder mit den Werktiteln aus, um sie an die Wände zu heften. Nun hat alles, was wir gemeinsam mit den Künstlern aufgebaut haben, auch einen Namen.
    Am letzten Tag, als alles fertig ist, richten wir im roten Saal, in dem die Patina die Malereien an den Wänden miteiner feinen Schicht Vergangenheit überzogen hat, einen langen Tisch und veranstalten ein kleines Festbankett für uns selbst. Mit getoasteten Sandwiches, Orangen aus dem Supermarkt und drei Flaschen Wein aus dem Pappbecher. Rosa, die immer wieder vorbeigeschaut hat, um unsere Arbeit fotografisch zu dokumentieren, hat einen großen

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