Ein Jahr in London
fragen kann, was an mir so typisch zwillinghaft sei oder warum er sich so merkwürdig altmodisch ausdrücke, ist er schon wieder verschwunden.
„Hast du schon mal die Bekanntschaft mit dem King of Camden gemacht?“, frage ich Felice abends, nachdem wir zusammen das Geschäft abgeschlossen haben. Felice nickt.
„Oh ja, a weird guy ! Ein komischer Kauz. Von denen gibt es viele in Camden.“
„Allerdings. Aber er hat tatsächlich mein Sternzeichen richtig geraten. Hat er das bei dir auch?“
„Ja, aber frag mich nicht, wie er das macht.“
Als der King of Camden zum nächsten Mal in das Geschäft geschlichen kommt, bediene ich zum Glück gerade einen anderen Kunden und er macht sich ohne ein Wort wieder davon.
Auch Jake kommt oft vorbei und wir verbringen ein paar gemeinsame Stunden vor seiner Abendschicht zusammen im Ye Olde White Bear . Oder wir schlendern über den Markt, setzten uns an den Kanal und beobachten die Hausboote, deren Besitzer in aller Ruhe die Blumentöpfe auf den Dächern bewässern oder in Sonnenstühlen liegend Radio hören, und träumen davon, uns irgendwann eines dieser Boote für ein paar Wochen zu mieten und kreuz und quer damit durch England zu fahren.
Die ersten Wochen als Felices Aushilfe gehen dank dieser Besuche schnell vorbei, doch zwischendurch schreibe ich eine Bewerbung nach der anderen. Denn von dem niedrigen Lohn einer Verkäuferin kann man in der drittteuersten Stadt der Welt zwar überleben, aber meine Hausbootpläne werden sich so nicht verwirklichen lassen. Es geht jetzt ernsthaft ans Sparen, was für viele Londoner allerdings schon fast ein Hobby für sich ist. Denn England ist das Land der Charity Shops und ihr Besuch kann schnell zu einem zeitaufwendigen, aber sehr erfüllenden Vergnügen werden. Ganz besonders heutzutage, wo der Retro-Look ja nun glücklicherweise gerade in ist. Charity Shops sind kleine Läden, die für die Wohlfahrt Secondhand-Kleidung, Bücher, CDs, Tassen, Lampen, Spielzeug, kurz gesagt: alles verkaufen, was sich verkaufen lässt. Das Geld geht an die verschiedensten Organisationen, vom Roten Kreuz und der Heilsarmee bis zu Tierschutzverbänden wie der Hamster Rescue , der Rat Rehoming oder dem Orang-Utan-Waisenkinder-Appell. Und in jeder guten Einkaufsstraße gibt es mindestens zwei. In der Camden High Street, zehn Minuten von uns entfernt, gleich sieben.
Mein Lieblings- Charity Shop gegenüber dem Sainsbury’s Supermarkt ist eine wahre Fundgrube für Deutschlehrer. Nicht nur habe ich dort bereits zwei Heino-LPs gefunden, dessen Klänge gut als Strafe für meine Schüler beim Nachsitzen herhielten, auch liefert eine mir unbekannte Person dort die aktuellsten Ausgaben der Bravo ab. Dessen bunte Seiten boten meinen Klassen immer wieder eine hervorragende Einführungin die deutsche Kultur. Eines Tages hoffe ich, die mysteriöse Abonnentin einmal beim Abliefern zu erwischen und ihr meinen Dank auszusprechen.
Und all dies für jeweils 20 Pence, denn die alten Damen, die diese Läden überwiegend führen, kennen sich furchtbar schlecht mit dem Wert der von ihnen gebotenen Waren aus und verkaufen oft teure Designermode für ein paar Pfund.
Auch heute schaffe ich es nicht, an dem Shop vorbeizugehen, ohne ihm einen kurzen Besuch abzustatten. Zuerst schaue ich mich in der Kleiderecke um, in der sich vom Leopardendruck-Mantel bis zum Designer-Ballkleid alles finden lässt.
Knickers , also Unterbuxen, steht in krakeliger Schrift auf einer kleinen roten Box, die mir sofort ins Auge fällt. Ich werfe einen Blick in die Schachtel und sehe ein paar riesige, graue Exemplare, die selbst einem Nilpferd zu groß wären. Dann daneben eine Box mit der Aufschrift „fancy knickers, only 50 p“ – hier finden sich also die etwas schickeren Ausführungen. Ich fische ein blaugetüpfeltes Paar heraus und frage mich, wer um alles in der Welt blaugetüpfelte Secondhand-Schlüpfer aus dem Charity Shop kauft.
„ Ohhh, lovely, isnt it? “, sagt die alte Dame hinter der Kasse, die mich wohl beobachtet haben muss. Sie wirft mir einen ermutigenden Blick zu. „Selbstgenäht sind die. Mal anprobieren?“
„Oh, nein, danke.“ Ich schließe schnell die Box und wende mich der weniger heiklen Hosen-und Jackenstange zu. Dort finde ich ein Paar Original-Levis aus den 50er Jahren, dazu noch in meiner Größe, die ohne Frage ein Vermögen wert sind. Doch das Preisschild fordert nur lächerliche fünf Pfund.
„Fünf Pfund für so ein schludriges Paar Jeans? Da muss sich
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