Ein Jahr in London
Jake unverblümt, als die Kellner uns zum Gehen drängen. „Eigentlichsollte ich es ja aufgeben. Wie oft hast du mir jetzt schon versprochen, mich anzurufen oder mich im Pub zu treffen, eh? Aber wenn wir Ort und Zeit ausmachen, kommst du mir nicht so schnell davon.“
„Und deiner Freundin macht das nichts aus?“, frage ich sarkastisch.
Er schaut mich verdutzt an.
„Was meinst du, meine Freundin?“
„Ich habe euch zusammen gesehen.“
„Wie bitte? Mit wem und wo willst du mich denn bitte gesehen haben?“
„Ist ja egal. Jedenfalls möchte ich nicht zu einem romantischen Dinner mit dir ausgehen, nur weil deine Freundin an dem Tag gerade nicht kann.“
„Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest. Um Himmels willen, kannst du dich nicht ein bisschen deutlicher ausdrücken? Seid ihr Deutschen immer so unpräzise?“
Ich nehme also all meinen Mut zusammen und erzähle ihm von dem Morgen, an dem ich ihn mit der schwarzgelockten Frau im Park gesehen habe. Er überlegt eine Weile.
„Primrose Hill? Und wann genau soll das gewesen sein?“
Dann fängt er an zu lachen.
„Und du findest das lustig?“, frage ihn verärgert.
„God, you’re paranoid, aren’t you? Das war meine kleine Schwester Sioban, sie wohnt in Primrose Hill.“
„Ah.“ Ich glaube ihm kein Wort und bete, dass Karmen jetzt endlich auf meine Bitte eingeht und sich von ihrem Richard verabschiedet.
„Hier, darf ich euch vorstellen? My little sister Sioban –“ Er dreht sich um und zieht die mir schon bekannte Schwarzhaarige am Arm herbei. Sie lächelt mich freundlich an.
„Nice to meet you!“ Ich erwidere ihren Blick.
„Du bist also Jakes Schwester?“ Ich schaue sie zweifelnd an.
Tatsächlich hat sie die gleichen graugrünen Augen wie er. Sie nickt.
„Also, ich lass euch jetzt alleine, bis morgen dann, Jake!“, ruft sie und gesellt sich einer anderen Gruppe am Eingang zu.
„Ich könnte dich ebenso fragen, wer der Mann war, mit dem du dich eben noch unterhalten hast.“ Zu meiner Freude sieht er mich ein bisschen gekränkt an. „Ihr scheint euch ja gut zu verstehen.“
„Nur ein Bekannter.“
„O. k. Also, was mich betrifft, ich bin young, single and free .“
„Das hört sich an wie irgendein blöder Werbespot aus dem Fernsehen“, sage ich. „Ich wusste nicht, dass ihr Engländer so direkt sein könnt. Was ist mit der typisch englischen Reserviertheit passiert?“
Er lacht. „Ich war immer direkt. Aber du gehst nie darauf ein. Also, können wir uns jetzt treffen oder nicht? Du hast zwei Minuten, dich zu entscheiden, dann ist deine Chance vorbei.“
Wir werden uns also am nächsten Samstag sehen.
Auf dem Heimweg schwärmt Karmen ununterbrochen von Richard, der sie gleich ins Country House seiner Eltern in den Cotswolds eingeladen hat.
„Am liebsten würde ich gleich nach England ziehen!“
Als wir wieder in meinem Zimmer angekommen sind, fällt ihr noch etwas ein:
„Mein Cousin aus Bremen kommt übrigens im August nach London, dem würde es hier bestimmt toll gefallen“, beginnt Karmen. „Meinst du, du könntest dich ein paar Abende um ihn kümmern? Sonst ist er hier ganz allein.“
Ich nicke natürlich.
„Aber nur, wenn er sich nicht für moderne Kunst interessiert.“
Mai
„Und wohin gehen wir heute Abend?“, frage ich Jake gespannt, der eine Tasse Tee nach der anderen trinkend in meinem Sessel sitzt.
„ It’s a surprise ! Warte es ab!“
Ich male mir alle möglichen romantischen Szenarien aus: eine Mahlzeit im griechischen Lemonia um die Ecke oder vielleicht russisch im Trojka oder japanisch im Zensai? Oder wir nehmen ein Taxi und fahren ins West End und essen auf einem Boot auf der Themse?
„Also, los dann. Let’s go .“
Wir gehen die Straße hinab Richtung U-Bahn, vorbei an blühenden Kirschbäumen und duftenden Vorgärten, und biegen dann rechts ab nach Camden.
„O. k., da sind wir“, verkündet Jake ein paar Minuten später schon völlig unerwartet und stößt die Tür zum Enterprise-Pub auf. So viel zu meinem Dinner for Two am Fluss.
„Hattest du nicht etwas von meal gesagt? Ich dachte, wir würden etwas essen gehen?“, sage ich enttäuscht und würde mich am liebsten gleich verabschieden.
„Essen können wir auch später. Nebenan ist ein netter Dönerladen.“ Es muss wohl stimmen: Englische Männer sind nicht sehr romantisch.
Für ein paar Minuten kann ich meine Enttäuschung kaum verbergen, aber eigentlich bin ich sowieso viel zu aufgeregt, um zu essen. Wir machen es
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