Ein Jahr in London
Möglichkeit, dass ich dann tatsächlich Französisch unterrichten sollte, als so abwegig, dass ich dem Ganzen keine große Bedeutung schenkte.
Ich lache nervös, und sehe mich schon arbeits- und wohnungslos auf der Suche nach einem LKW-Fahrer, der sich erbarmt, mir eine Mitfahrgelegenheit zurück in die Heimat zu geben, hungrig durch das nächtliche London schleichen.
„ Alors, pourquoi est-ce que vous avez déménagé en Angleterre ?“
Ich wiederhole die Laute mehrere Male in Gedanken, kann aber nichts damit anfangen.
„ Il y a deux semaines “, entgegne ich auf gut Glück, und warte auf die nächste Frage.
„Nein, wir haben gefragt, warum du nach England gezogen bist!“ Miss Miller und ihre zwei Kollegen betrachten mich skeptisch.
„Ah, natürlich. C’est parce que l’Angleterre est superbe! “ Das scheint sie zu befriedigen.
„Et l’école où vous avez travaillé en Allemagne, elle est comment?“
„Elle est superbe! Elle est très grande avec beaucoup d’élèves.“ Ich danke Gott für diese grandiose Eingabe, und warte angespannt auf die nächste Frage.
Aber Dr Clarkson unterbricht. „Ja, ich spreche zwar selber kein Französisch, aber ich muss sagen, dein Akzent hört sich gut an.“ Er stellt noch ein paar Fragen zu meiner Unterrichtsmethodik und dann ist das Schlimmste schon überstanden.
„Also, wenn du jetzt bitte im Lehrerzimmer einige Minuten warten könntest, dann werden wir jetzt eine Entscheidung treffen und sie dir so bald wie möglich mitteilen.“
Kaum habe ich es mir im Lehrerzimmer mit einer Tasse Teeauf einem Sofa bequem gemacht, geht schon die Tür auf, und Miss Miller kommt herein und wirft mir einen grimmigen Blick zu.
„Herzlichen Glückwunsch! Du hast die Stelle!“
Daraufhin wirft sie sich mir um den Hals und küsst mich auf beide Wangen. „Ganz wie in Frankreich“, lacht sie, als wollte sie mich extra noch mal an meine peinlichen Unkenntnisse erinnern.
„Jetzt brauchen wir noch ein paar Unterschriften von dir und dann kannst du nachher bei meiner zehnten Klasse zusehen, damit du schon mal weißt, was dich dann am nächsten Montag erwartet!“
In der Kabine beim Fußballfeld, die aus Platzmangel als Klassenzimmer genutzt wird, setze ich mich nach hinten. Die Wand ist plakatiert mit Arbeiten der Kinder. „Meine Name is James. Ich bin dick. Ich bin nickt dunn. Ich bin ser intelligent.“ Daneben ein Foto von einem grinsenden kleinen Jungen auf seinem BMX-Rad.
Miss Miller fixiert die Schüler streng mit vor sich verschränkten Armen, bis irgendwann alle still werden und in ihre Richtung schauen.
„Guten Morgen, die Klasse!“
„Gud Morging, Fräulein Miller“, entgegnen ein paar Kinder gelangweilt.
Sie lächelt voller Enthusiasmus und erläutert dann das heutige Lernziel: die Präpositionen mit Dativ.
Auf dem Projektor erscheinen mehrere ungeschickte Zeichnungen von Mäusen; Mäusen in Schubladen, Mäusen unter Schränken, Mäusen neben Betten.
„O. k., wie-der-holt“, sagt sie, auf das erste Bild zeigend, „die Maus ist unter dem Tisch!“ Zwei müde Stimmen sprechen unisono: „Dei Mouse iss under demm Tisch.“ Die restlichen Schüler starren entweder geistesabwesend aus dem Fenster oder kritzeln eifrig mit Kulis auf den Tischen herum.
„Prima! Well-done! Nun: Die Maus ist in dem Schrank ...“
„Miss, ist es die oder der?“ Völlig in Gedanken versunken schrecke ich auf.
„Sorry?“
„Die oder der? I mean, die oder der Hose?“ Miss Miller lächelt mich an, keineswegs beschämt, dass ihr dieser kleine Unterschied gerade nicht einfällt.
„Ach so. Der Hose. Die Maus ist in der Hose.“
„Danke!“ Und weiter geht es mit Mäusen neben Telefonen, Mäusen in der Schultasche und Mäusen eingequetscht zwischen zwei labberigen Sandwichscheiben. Dann müssen die Kinder alles vom Projektor abmalen und beschriften und die Stunde ist schon fast vorbei. Ich gehe durch die Reihen und schaue mir die Hefte der Kinder an. Ein rothaariges Mädchen mit dickem Pferdezopf hat jeden einzelnen Vokal mit Umlaut versehen. „Die Mäüs ist ünter dem Schränk“, steht da in Schönschrift, und ein paar Seiten vorher: „Edgewäre ist im Nörden vön Löndön. Fülhäm ist im Süden vön Löndön.“
„Warum benutzt du denn so viele Umlaute?“, frage ich sie amüsiert.
„Umlaute?“
Ich zeige auf ein Beispiel.
„Ach, Doppelpunkte. Das macht man so im Deutschen“, erklärt sie mir überzeugt.
Nachdem wenig später die Schüler das
Weitere Kostenlose Bücher