Ein Jahr in New York
die Tür schloss. Der Grund: Die Männer saßen in ihren klatschnassen braunen Shorts auf den deshalb klammen Bänken, und die wenigen Frauen zogen nicht mal ihre feuchten Bademäntel aus. Dann kam auch noch jemand auf die Idee, eine komplette Flasche ätherisches Öl auf die heißen Steine zu gießen, und ich verließ fluchtartig den Raum. Auf dem Weg in die russische Sauna mussten wir über kleine Hügel nasser Handtücher steigen, die hier alle achtlos auf den Boden warfen und vom Personal regelmäßig mit einem Rollwagen eingesammelt wurden. Ich öffnete die Tür und war das erste Mal an diesem Nachmittag beeindruckt.
Vor unser lag wie eine dunkle Höhle die russische Sauna, die von einem großen Ofen mit glühenden Steinen beheizt wurde. Neben uns wurde gerade jemand mit einer Rute aus Eichenblättern gepeitscht. „Angeblich werden so die Poren geöffnet, und der Körper kann entgiften“, sagte Val. In einer Ecke standen mit eiskaltem Wasser gefüllte Holzeimer. „Sollen wir?“, fragte ich. Ich hielt den Eimer über mich, zögerte mehrere Sekunden, weil mein Instinkt mich anflehte, unter keinem Umständen in dieser schön gemütlich warmen Umgebung einen kompletten EimerEiswasser über mich auszugießen. Im ersten Moment stockte mir der Atem, dann musste ich so tief Luft holen, dass mein Lungenvolumen nicht auszureichen schien. Danach setzte ein unglaubliches Gefühl sauberer Tiefenentspannung ein.
Als wir drei Stunden später, eingemummelt in unsere dicken Wintermäntel, aus der Sauna kamen, war es mindestens drei Grad kälter. Aber aus meinen Poren glühte es nach. Irgendwie machte uns die Kälte gar nichts mehr aus. Auch wenn das türkische Bad vom Standard der skandinavischen Saunakultur weit entfernt war, hatte es offensichtlich seinen Zweck erfüllt. Das Badehaus gab es schließlich nicht ohne Grund seit 1892. „Ich kann trotzdem nicht verstehen, warum nicht längst jemand auf die Idee gekommen ist, in New York eine elegante Saunaanlage zu eröffnen. Genau für so was bezahlen die Leute hier doch ein Vermögen. Damit könnte man ein Bombengeschäft machen“, sagte ich zu Valerie, und wir fingen an, über die perfekte Sauna-Welt zu fantasieren.
Februar
A LLES WAR VERSCHWUNDEN . Statt der Bürgersteige, Vorgärten, Straßen, Autos und Zäune breitete sich eine weiße „Winter Wonderland“-schaft vor mir aus. Ich stand in der Haustür und staunte. Auch die Treppenstufen waren begraben, und auf der Suche nach Grund tauchte ich mit meinen Stiefeln tief in den Schnee. Wie ein Storch marschierte ich zur Bedford Avenue, vorbei an kleinen Hügeln, unter denen sich Autos versteckten, und hinterließ meine Spur im bisher unberührten Schnee. So still war die Stadt noch nie. Es war kein einziges fahrendes Auto zu sehen, und die weiße Masse saugte jedes Geräusch in sich auf. Die Flocken stoben durch die Luft wie in einer Schneekugel. So viel Weiß hatte ich das letzte Mal vor vielen Jahren im Skiurlaub gesehen.
Alle, die mir auf dem Weg zur U-Bahn begegneten, hatten einen seligen Ausdruck ins Gesicht gezurrt. Es offenbarte sich eine ganz neue Seite der New Yorker. Ein Wir-Gefühl unter Fremden, das ich in dieser großen, ehrgeizigen Stadt nicht unbedingt erwartet, aber immer wieder erlebt habe. Nur deshalb war es ja überhaupt möglich, sich in diesem Großstadt-Chaos geborgen zu fühlen. Auf einer der am dichtest besiedelten Inseln der westlichen Welt, auf der sich jeder jeden Tag aufs Neue behaupten muss.
Dieses „Sich-Behaupten“ war schon vor Jahrhunderten notwendig, kurz nachdem die Insel im Herbst 1609 von demenglischen Seefahrer Henry Hudson entdeckt wurde. Er war nicht der erste Europäer, der Manhattan zu Gesicht bekam. Der Italiener Giovanni da Verrazzano erspähte die Insel schon 85 Jahre zuvor, segelte aber einfach weiter. Hudson hingegen blieb und erforschte den später nach ihm benannten Hudson River. Eigentlich war er im Dienste der holländischen „Vereinigten Ostindischen Kompanie“ auf der Suche nach einem alternativen Wasserweg nach Asien. Man erhoffte sich, die bisher lange und aufwendige Schifffahrt um das Kap der Guten Hoffnung durch einen kürzeren Seeweg zu ersetzen. Dieser Plan ging natürlich nicht auf. Stattdessen entdeckte Hudson ganz nebenbei die Insel, auf der sich kurz darauf einer der wichtigsten Häfen der Welt breitmachte.
Mannahatta – Insel der vielen Hügel, wie sie von den einheimischen Indianern genannt wurde, die schließlich von ihr vertrieben wurden.
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