Ein Jahr in New York
Winter mehr, und der Sommer wird meistens vom Herbst übergangen. Wir haben quasi das ganze Jahr Übergangssaison und eigentlich immer guten Grund uns zu beschweren“, erzählte ich Val und schob mir genüsslich einen Löffel der dampfenden Bohnen in den Mund. „Mmmhh, schmeckt wie bei Muttern.“
Am nächsten Tag bekam ich dann einen Anruf von meiner Mama, die mir fröhlich mitteilte, dass sie das Schnee-Chaos gestern Abend in den Nachrichten gesehen habe. Schon komisch, da ist man so weit entfernt und dank der Technik trotzdem immer mit dem Rest der Welt vernetzt.
Auch wenn an Frühling und Bikinis noch so gar nicht zu denken war, beschlich mich langsam ein schlechtes Gewissen. Über vier Monate war ich nun schon hier und hattenicht ein einziges mal Sport gemacht. Allein bei dem Gedanken fühlte ich mich gleich ein paar Kilo schwerer.
Anfangs hatte ich mich noch mit dem strammen Laufprogramm herausgeredet, das einem die Stadt einfach so aufzwingt. Alleine der tägliche Weg zur U-Bahn – hin und wieder zurück – glich einem mittleren Ausdauertraining, dessen Pensum Menschen in anderen Städten nicht einmal innerhalb einer ganzen Woche absolvieren mussten. In meiner ersten Zeit in New York war ich so viele Meilen kreuz und quer durch die Stadt marschiert, dass mich am fünften Tag ein fieser Muskelkater überraschte. Der war plötzlich da, einfach nur so, vom vielen Rumlaufen.
Auf Dauer war das allerdings keine gute Ausrede. Zumal hier jeder demonstrativ Sport trieb. Überall. Ich hatte das Gefühl, ich war die Einzige, die in dieser Stadt auf der faulen Haut lag. „Die vom Hearst Verlag haben ihr eigenes Fitness-Studio, und angeblich trifft man dort jeden Morgen die komplette Redaktion der ‚Marie Claire‘ an“, hielt mir Vanessa vor, die genauso diszipliniert war und jeden Tag zum Tanzen ging. Vor der Arbeit? „Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich darauf neidisch bin oder diesen Guerilla-Aktionismus total krank finde“, entgegnete ich.
Der Sportwahnsinn ist unter New Yorkern äußerst verbreitet. Deshalb ist es kein Wunder, dass man hier in den Fitness-Studios rund um die Uhr schwitzen kann. Der Sportclub „Crunch“ hat dafür extra 24 Stunden am Tag geöffnet und ist mit 29 Locations über die ganze Stadt verteilt.
„Die Zeit muss sein. Du weißt ja, dass mittlerweile mehr Frauen an Herzinfarkten sterben als Männer. Da hilft nur Sport und ein dementsprechend starkes Herz-Kreislauf-System“, fuhr Vanessa ermahnend fort.
Außerdem ist Sport in New York ein Lifestyle und Statussymbol dazu.
Diese aktiven Menschen saßen morgens in Trainingsanzügen und Turnschuhen in den hippen Cafés, gingen im Yoga-Outfit shoppen und zeigten sich auch sonst bei jeder Gelegenheit sportlich. Der athletische Exhibitionismus ging so weit, dass die meisten Fitness-Studios sich im Erdgeschoss eingerichtet hatten, mit großen Schaufenstern, damit man den schwitzenden Sportlern zuschauen konnte, wie sie wie auf einem Präsentierteller in die Pedale ihrer Hometrainer traten oder mit hochrotem Kopf und iPods im Ohr auf dem Laufband sprinteten.
Man entkam ihnen nicht, und mein schlechtes Gewissen wuchs.
Ein einheitliches Profil konnte ich bei diesen durchtrainierten Menschen nicht erkennen. Sie waren alt, jung, groß, klein, dünn, dick, blass, braun gebrannt, männlich oder weiblich. Sie trainierten im Central Park, im Fitness-Studio, am Hudson River, auf einem der vielen Basketball- und Fußballplätze, oder sie joggten einfach schweißgebadet durch SoHo. Selbst Spielplätze wurden hier zu Sportplätzen umfunktioniert, auf denen die chinesischen Opis täglich ihre Gymnastik und die Omis Tai-Chi machten.
Irgendwann gab ich auf. Ich wollte mitschwitzen, meine Herzmuskulatur stärken, Kalorien wegarbeiten und ganz nebenbei mein Leben verlängern. Dazu musste ich allerdings meine Hemmschwelle, meine Faulheit, überwinden. Nur – womit? Für die Muckibuden-Mentalität fehlte mir schon in Deutschland der Ehrgeiz, und beim Joggen überkam mich schon nach zehn Minuten der erste Schwächeanfall. Schwimmen vielleicht?
Da gab es dieses Hallenbad, nur vier Blöcke von meiner Wohnung entfernt, direkt auf dem Weg zur U-Bahn auf der Bedford Avenue. Ich hielt noch am selben Abend dort an. „35 Dollar“, antwortete der Mann an der Rezeption aufmeine Frage, wie teuer der Pool sei. „35 Dollar?“, fragte ich fassungslos. Das lag definitiv jenseits meines anvisierten Budgets. Insgeheim war ich ein wenig erleichtert, dass ich
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