Ein Jahr in New York
leicht und unterhaltsam.“ Zu viel Gehirn behindert anscheinend den Dating-Fluss.
„Wenn das alles überstanden ist und man sich danach immer noch sympathisch ist, geht man als Nächstes zusammen essen. Dann muss man sich so langsam entscheiden, denn als Nächstes steht die erste gemeinsame Nacht an.“ Lektion Nummer drei. Ein Dinner für zwei plus Drinks liegt in New York locker jenseits der hundert Dollar. Der Mann zahlt grundsätzlich die Rechnung und erwartet für diese Investition natürlich eine Gegenleistung. Genannt Sex.
„Und ist man dann auch irgendwann auch mal ein richtiges Paar?“, wollte ich wissen. „Das kann Wochen, wenn nicht Monate dauern“, klärte Val mich auf. „Also, bei uns in Deutschland passiert das von selbst“, sagte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Von selbst? Hier wartet man auf den ‚Talk‘, das entscheidende Gespräch, in dem beide beschließen, Boy- und Girlfriend zu sein und sich exklusiv zu daten. Erst dann führt man eine Beziehung.“
Ich war schon in der Theorie prädestiniert fürs Dating-Desaster, auch ohne jegliche Praxis. Für diesen Regel-Urwald fehlte mir nicht nur die Begabung, sondern ganz einfach die Lust. „Also, wenn man im Glücksfall endlich an jemandem interessiert ist, muss man tatsächlich noch wochenlang geduldig darauf warten, bis der andere einen zum ‚Exklusiv-Date‘ hochstuft?“, fasste ich noch mal ungläubig zusammen. Bis dahin wachte man möglicherweise neben einem Mann auf, der noch gestern Morgen das Haus einer anderen Frau verlassen hatte und völlig legitim am folgenden Abend mit Date Nummer drei verabredet ist. „New Yorker haben Bindungsängste. Bevor sie sich auf jemanden einlassen und sich festlegen, wollen sie sich ganz sicher sein“, erklärte Val. „Und bis dahin wartet jeder, ob da noch was Besseres zwischen die Laken kommt, na prima“, beendete ich die Nachhilfestunde.
Valerie war viel harmloser, als es zunächst schien. Bei den meisten Männern tastete sie sich nur bis zum zweiten Treffen vor. Ein Kinofilm, ein kostenloses Dinner, danach war Schluss. Ich hatte schon befürchtet, dass ich mich an ständig wechselnden Herrenbesuch und an diese furchtbar peinlichen Begegnungen gewöhnen musste, die einen morgens auf nüchternen Magen unvorbereitet auf dem Weg zum Badezimmer erwischten.
„Hallo, ich bin Nadine, Vals Mitbewohnerin“, streckte ich meine Hand aus und war mir sehr bewusst darüber, dass ich in meinem ollen Nachthemd, mit zerzaustem Haar und Kissenfalten im Gesicht vor einem Fremden in Boxershorts stand. „Ja, guten Morgen, ähhh, ich bin Nick, Vals, ähhh.“ – „Ja, hat sie erzählt“, sprang ich ein und versuchte ihn davor zu bewahren, mir erklären zu müssen, wie er in unsere Wohnung geraten war. Nick zählte zu Valeries engerer Auswahl und war nach einigen Wochen neben David der einzige Mann, bei dem es nach dem dritten Treffen weiterging. Nick war ein junger erfolgreicher Art-Director in einer großen Werbeagentur, der in einem coolen Loft in Williamsburg wohnte. Er war sportlich, mit definiert muskulösen Oberarmen, und er sah aus wie ein blonder Ken.
David hingegen war mindestens 15 Jahre älter als Valerie und lebte das Leben eines Woody-Allen-Charakters. Er sah übrigens auch so aus. Leicht schütteres Haar und eine akademische Brille, die immer drauf und dran war, von der Nase zu rutschen. David war Schriftsteller, wohnte in einem Apartment mit deckenhohen Bücherregalen auf der Upper East Side und pflegte einen intellektuell-neurotischen Lifestyle, den Valerie unglaublich charmant fand. Er wiederum war absolut hingerissen von ihrer jugendlichen Leichtigkeit, überschüttete sie mit Aufmerksamkeiten und führte sie in die schicksten und teuersten Lokale Manhattans aus. Sie blies dafür ein wenig frischen Wind in sein staubtrockenes Upper-East-Side-Dasein.
„Ich glaube, ich mache mit Nick Schluss“, sagte Val. Wir standen in der Küche und kochten. Es war Samstag, und wir hatten ein paar Leute zum Dinner eingeladen. „Ich wusste gar nicht, dass man mit jemandem Schluss machen kann, mit dem man noch gar nicht richtig zusammen war. Und warum?“, fragte ich, während ich Orangenschale inden großen Topf mit Glühwein raspelte. Bowle und Glühwein waren so ziemlich die einzigen deutschen Spezialitäten, die ich zu unseren Essen beisteuern konnte. Ansonsten war mein deutsches Repertoire schnell erschöpft. Aber Valeries Kochkünste in Kombination mit meiner Vorliebe zu bewirten machten
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