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Ein Jahr in New York

Titel: Ein Jahr in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Sieger
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hier am Tisch, die noch an Monogamie glaubt und keinen Wert auf Sextrophäen legt?“, fragte ich. „Sicherlich hat Monogamie auch Vorteile: Man muss sich nicht ständig die Beine rasieren“, scherzte Stacey. „Aber dafür muss man schließlich erst mal ‚husband material‘ (Ehemann-Material) ausfindig machen.“ Stacey ließ sich – und das war kein Geheimnis, weil sie jedem gerne in epischer Breite davon erzählte – kein Matratzenabenteuer entgehen. Erst letzte Woche landete sie mit einem Typ im Bett, der eigentlich, zumindest als der Abend begann, Valeries Date war. „‚Husband material‘, was ist denn das schon wieder für ein Wort“, warf ich ein. „Na, jemand, der ‚marriage potential‘ (Heiratspotential) hat. So wie David, der hat wenigstens genug Geld“,antwortete Stacey. „Wisst ihr eigentlich, wie unglaublich unemanzipiert solche Kategorisierungen sind? Geht’s wirklich nur darum, von einem reichen Mann geheiratet zu werden?“, wunderte ich mich. „Na, besser als von einem armen“, grinste Stacey. Sie wusste, wovon sie sprach. Erstaunlicherweise war gerade sie schon verheiratet und wartete sehnsüchtig auf die Scheidung. Ihre Ehe war im Desaster geendet. Ein verschuldetes Haus in Ohio, blaue Flecken und eine Rückkehr bei Nacht und Nebel nach New York.
    „Ich will grad überhaupt niemanden heiraten. Ich wollte einfach nur vier Jahre Zölibat beenden. Das ist alles“, verteidigte sich Valerie. Ich bohrte weiter: „Und dass hier bei jedem Date der Mann kategorisch bezahlen muss – findet ihr das gleichberechtigt?“ „Wenn man so pleite ist wie ich gerade, ist das auf jeden Fall ziemlich praktisch“, entgegnete Val. Auch Stacey gab nicht auf. „Ich finde, das sind sie uns schuldig“, behauptete sie störrisch.
    Schuldig ist die Spezie Mann den amerikanischen Frauen übrigens auch, zur Verlobung einen Diamantring auszuhändigen, der dem Wert von drei Monatsgehältern entspricht. Das wird nicht selten von der Angebeteten beim Juwelier überprüft. Dieser „Rock“ wird dann stolz wochenlang Freunden und Familie unter die Nase gehalten. Eine meiner deutschen Kolleginnen, verheiratet, erzählte mir, wie sie im Urlaub ein amerikanisches Paar kennengelernt hatten. Irgendwann kam es in einem Gespräch unter Frauen auf den Verlobungsring. Die amerikanische Frau nahm an, dass meine Kollegin ihn nicht dabei hatte, weil sie unter den Ringen an ihrer Hand keinen großen funkelnden Klunker entdecken konnte. Irrtum. „Als ich ihr erklärte, dass wir Deutschen keinen großen Wert auf Verlobungsringe legen, konnte sie nicht unterdrücken, dass sie meine Argumentation für eine Ausrede hielt, und schaute mich von da animmer ganz mitleidig an“, erzählte sie und konnte ihr Vergnügen über dieses typisch deutsch-amerikanische Missverständnis nicht verbergen.

    Zurück zum Dinner. „Also Mädels, meine These ist, dass die amerikanischen Männer das Daten nur erfunden haben, um sich gegen all diese heiratswütigen Frauen zu schützen. Ich hätte auch Angst, mich auf jemanden einzulassen, wenn man als Typ befürchten muss, dass sofort der Verlobungsring erwartet wird“, fuhr ich unbeirrt fort. „Wenn wir Frauen kein eigenes Geld verdienen würden, wäre das sinnvoll, aber so hält man hier ein total überholtes Ritual aus der Steinzeit am Leben.“ Stummes Unbehagen hing plötzlich wie eine Wolke über dem Esstisch. Jonathan rettete mich. „Nadine hat Recht! Die Europäer sind da viel emanzipierter und moderner eingestellt“, rief er aus der Küche. Ich nickte zustimmend und schob mir noch eine Scheibe Bruschetta in den Mund. „Deshalb kann ich zu interkontinentalen Beziehungen raten. Da kommt das Beste aus beiden Kulturen zusammen“, sagte Vanessa, die mit ihrem deutschen Freund ein lebendes Erfolgsbeispiel war und der einzige Nicht-Single in unserer Runde. „Heiraten wird hier völlig überbewertet. Meine kleine 24-jährige Schwester hat kürzlich mit ihrem Freund Schluss gemacht, weil sie fand, dass es nach fünf Jahren Beziehung an der Zeit war zu heiraten. Er war noch nicht so weit. Und sie hat das gegen die Beziehung ausgelegt und den Schlussstrich gezogen“, erzählte Jonathan weiter. „Ich kann deine Schwester verstehen, nach fünf Jahren muss es doch mal weitergehen – und wenn man sich liebt, kann man auch heiraten“, verfocht Stacey ihren Standpunkt. „Ihr dürft nicht vergessen, dass alleinstehende Frauen immer noch irgendwie benachteiligt sind“, gab Noelle zu bedenken.

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