Ein Jahr in New York
aus uns ein relativ passables Gastgeber-Duo.
„Ach, Nick und ich passen einfach nicht zusammen. Im Bett ist alles super, aber sonst haben wir uns nicht viel zu erzählen.“ – „Und was ist mit David?“, meinte ich. „David ist toll. Bei ihm fühle ich mich wie eine Prinzessin, und wir haben immer unglaublich viel Spaß zusammen. Aber irgendwie leben wir auch in zwei Welten“, antwortete sie. „Ich bin sehr gerne zu Besuch in seinem Leben, aber er passt überhaupt nicht in meines. Kannst du dir vorstellen, er heute Abend hier?“ Ich musste grinsen und schüttelte den Kopf. Das konnte ich mir tatsächlich nicht vorstellen. Meistens übernachtete Val bei David. Wenn er dann mal ausnahmsweise nach Williamsburg kam, schlich er durch unsere Wohnung wie durch ein Minenfeld. Die Minen waren Begegnungen mit mir. „Ich weiß, wie menschenscheu David ist. Ich kann ihm nicht mal meine besten Freunde vorstellen. Das will ich ihm nicht antun, diese Zyniker würden ihn auseinander nehmen“, seufzte sie.
Valeries beste Freunde waren Stacey, Jonathan und Marc. Die vier kannten sich schon seit fast zehn Jahren und ergaben zusammen ein sehr kurioses Quartett. Jonathan war von Beruf Wissenschaftler und im Leben genau das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Akademiker vorstellte. Auf seiner Geburtstagsparty vor ein paar Wochen zum Beispiel öffnete er Val und mir dir Tür. Splitternackt. Ich starrte ihn sprachlos an, spürte, wie mir dieGesichtszüge entgleisten, zwang mich, meinen Blick nicht unter die Gürtellinie rutschen zu lassen. Er gab mir eine Umarmung, tat so, als wenn nichts weiter wäre, und bot mir ein Bier an. Im Geiste schrieb ich schon eine E-Mail an meine deutschen Freunde. Titel: Nudisten-Orgie in New York. „Sorry Nadine, ich hab ganz vergessen dich zu warnen. Jonathan läuft auf seinen Geburtstagspartys jedes Jahr unbekleidet durch die Gegend. Am besten ignorierst du das einfach“, entschuldigte sie den Zwischenfall kurz darauf. „Meine Freunde sind alle ein bisschen verrückt, aber sehr liebenswert.“ Plötzlich schrie jemand: „O mein Gott, Jonathan ist vom Dach gesprungen!“ Einfach so, aus einer Sensationslaune heraus, hatte er Anlauf genommen und war vom Dachgarten eine Etage tiefer auf den Bürgersteig gesprungen. Da lag er nun nackt, krümmte sich wimmernd in der Embryostellung und hatte sich offensichtlich seinen Fuß verknackst. Ein unbekleideter, auf dem Gehweg liegender Mann ist kein uninteressanter Anblick. Die Passanten waren alle sichtlich belustigt. Von zwei Freunden gestützt humpelte der unbekleidete Jonathan zur Haustür. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieser Mann jeden Tag in einem weißen Kittel im Labor steht“, kommentierte Stacey den Sturz. Stacey war Journalistin und schrieb gerade an ihrem Debütroman. Um ihrer Schriftstelleridentität ein bisschen intellektuelle Schwere zu verleihen, hatte sie vor ein paar Wochen ihr amerikanisches Englisch durch einen britischen Akzent ausgetauscht. „Stacey, das ist lächerlich und außerdem nimmt dir das keiner ab. Man kann seine Herkunft nicht einfach wie ein It-Bag beliebig ersetzen“, spottete Valerie über den Dialektwechsel. Aber Stacey hielt daran fest. Der dritte im Bunde, Marc, war im Vergleich zu Jonathan und Stacey ein Langweiler, aber ein schlauer und dazu liebenswerter. Er war Computerspezialist und sah auswie ein typischer Parka-Träger aus der Oberstufe. Runde Brille, langes dünnes Haar.
Es schellte. Jonathan stand vor der Tür. Mit orangerot gefärbtem Haar. Und Augenbrauen! „Hallo Jonathan, ich muss dir sicher nicht sagen, dass du aussiehst wie der Fast Food Ronald MacDonald.“ Er schaute mich an und grinste glücklich. Jonathan war nicht daran interessiert, gut auszusehen, er wollte auffallen, provozieren, das war alles. Wenn ihm das gelang, war er zufrieden. Die Besetzung unserer Tafelrunde war genauso bunt zusammengewürfelt wie das alte Hotelgeschirr, das ich vor kurzem in einem kleinen Antikladen in Williamsburg erworben hatte: Valerie und ihre drei besten Freunde; die amerikanische Claire, eine von Paulas vielen Untermieterinnen, die im Stockwerk unter uns lebte; und mein neuer Patchwork-Freundeskreis. Während Vanessa, Noelle und Jonathan rauchend am geöffneten Küchenfenster standen, diskutierten wir im Wohnzimmer über Valeries Dating-Zukunft. „Also, Valerie, wenn der Sex gut ist, solltest du Nick auf jeden Fall weiterhin treffen“, so Stacey. „Bin ich eigentlich die Einzige
Weitere Kostenlose Bücher