Ein Jahr in New York
Plastikspielzeuge abgestellt waren.
Wir radelten weiter. Ließen die jüdische Gemeinde und Williamsburg hinter uns und fuhren über die Flushing Avenue. Dahinter wartete eine komplett andere Welt auf uns. Lauter und bunter. „Bedford Stuyvesant ist das Harlem von Brooklyn, hier lebt eine der größten afroamerikanischen Communities und auch viele Farbige aus der Karibik“, rief Jonathan über seine Schulter. Rastafari-Läden, Dominikanische Soul Food Imbisse, Barber Stores, bunte Menschen. Hunde bellten, üppige Mütter blökten ihre Kinder an, und ein paar farbige Jungs in Hoodies und Baseballkappen spielten laut jubelnd Basketball. Der Sound der Straße war eine Fusion aus Englisch, Spanisch und Hip-Hop-Klängen. „Hier sind übrigens lauter Promi-Rapper wie Lil’Kim, Notorious B.I.G. und Jay-Z aufgewachsen. Und auch der Schauspieler Chris Rock“, erzählte Val.
„Früher wollte hier keiner wohnen, weil es ständig Schießereien, Überfälle und massig Drogendealer gab. Davon sieht man heute nicht mehr viel“, sagte Val. Aber die Armut hatte ihre Spuren hinterlassen. Teilweise waren die Hauseingänge mit Sperrholz vernagelt. Neben frisch renovierten Häusern klafften leerstehende, zugemüllte Grundstücke. Parkplätze waren mit Stacheldraht gesichert. Bauten, deren einstige Pracht man noch erahnen konnte, waren so verfallen, dass sie dem Abriss ganz sicher nicht mehr entkommen würden. Eine leere Plastiktüte wehte mir zwischendie Speichen, ich musste anhalten und war sofort vom Fast-Food-Geruch eines Fried-Chicken-Imbisses umgeben.
Und schon überquerten wir die nächste Kulturgrenze: Atlantic Avenue. Dahinter begann Crown Hights. „Ende des 19. Jahrhunderts war die Gegend bei der Bourgeoisie New Yorks besonders beliebt, deshalb stehen in den Seitenstraßen überall die alten schönen Brownstones. Hier wohnten bis zum Zweiten Weltkrieg nur reiche Leute“, so Valerie. Dann folgte wie überall die Stadtflucht, die Immobilienpreise stürzten ab, die Weißen zogen weg. Farbige, Hispanics und jüdische Immigranten aus Osteuropa füllten die Lücke. „Ich habe noch nie so viele Kirchen, Schulen, Werkstätten und Tankstellen auf ein und derselben Straße gesehen“, bemerkte ich laut. An der nächsten Kreuzung ragte ein riesiger Sozialbau-Kasten aus beigefarbenem Klinker in die Höhe. Ganz im Kontrast zu den schönen alten Stadthäusern, die die Seitenstraßen schmückten. Weiter südlich konnten wir Richtung Westen sogar die Baumwipfel des Prospect Parks sehen, der nur zwei Blöcke entfernt war. Die grüne Oase ist das Brooklyner Pendant zum Central Park und wurde Ende des 19. Jahrhunderts von denselben Designern kreiert, nachdem sie ihr Werk in Manhattan vollendet hatten.
Wir radelten und radelten. Es wurde immer hübscher. Wir fuhren durch das Viertel Prospect-Lefferts Gardens. „Diese kleinen Grundstücke mit den süßen zweistöckigen Häusern haben wir einem Holländer zu verdanken, der Lefferts hieß. Er unterteilte sein Grundstück und bestand darauf, dass auf jeder Parzelle ein großzügiges Einfamilienhaus mit Garten entstand“, erzählte Jonathan. „Die sehen tatsächlich sehr holländisch aus“, sagte ich. Es folgten historische Reihenhäuser im viktorianischen Zuckerbäckerstil mit weiß gesäulten Eingängen.
„Wow, was ist denn das für ein wunderschöner Campus?“, fragte ich. Die Bedford schnitt mitten durch ein Uni-Gelände. In dem Park vorm Hauptgebäude saßen jede Menge Studenten. Hinter ihnen ragte eine Bücherei mit einem imposanten Turm und weißer Kuppel in den blauen Himmel. „Das ist das Brooklyn College“, rief Val.
Die Gegend verlor an Farbe, dunkelhäutige Menschen waren kaum noch zu sehen. Die Bedford Avenue war plötzlich von Bäumen gesäumt, die Bürgersteige von Rasen eingerahmt. Auf beiden Seiten Einfamilienhäuser mit manikürten Vorgärten, fein säuberlich gestutzten Hecken und glänzenden Familienkutschen in der Einfahrt. Es parkte absolut niemand mehr auf dem Fahrradweg. Vorort-Idylle. Aus verschiedenen Epochen und Materialien. Verklinkert, verputzt, mit Türmchen und Säulen oder ohne. Die grellen Bodegas, Fast-Food-Imbisse, karibischen Schönheitssalons, Mülltütenberge auf dem Bürgersteig und auch die Graffitis an den Fassaden waren von der Bildfläche verschwunden. In Midwood lebte der weiße Mittelstand. Genau so hatte ich mir die sauberen Vorzeige-„Suburbs“ Amerikas vorgestellt. Eine Einheitlichkeit, die für New York sehr ungewöhnlich
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