Ein Jahr in New York
ständigen Wandel befand? „Mit einer Geschwindigkeit, die es New York unmöglich macht, mit sich selbst Schritt zu halten“, wie der Literat E. B. White schon vor vielen Jahrzehnten beobachtete. Zogen nicht gerade deshalb so viele hierher? Weil sie hofften, sich zu ändern?
Aber Veränderung stellte sich in den unterschiedlichsten Ausführungen ein. Manche waren wünschenswert, manche eher nicht. Ich hoffte, nie so überheblich zu prahlen wie mein deutscher Bekannter Martin. Er betonte bei jeder Gelegenheit, dass er nie wieder in Hamburg leben könnte,weil dort alles so entsetzlich klein und unerträglich provinziell sei. Ja, eigentlich gebe es nach New York sowieso keine andere lebenswerte Stadt mehr. Er wohnte erst seit drei Jahren hier und sprach kategorisch Englisch. Auch mit mir. Ich antwortete jedes Mal stur auf Deutsch. So ging es bilingual hin und her. Ein verbales Pingpongspiel und keiner gab nach. War das Bedürfnis, sein altes Leben durch ein Neues auszutauschen, eine zwangsläufige Begleiterscheinung?
Natürlich befand auch ich mich unter anderem hier, um Englisch und nicht Deutsch zu sprechen. Aber nicht mit Deutschen. Ich wollte meine Muttersprache nicht zwanghaft abstreifen. Nur weil ich in Amerika lebte.
Zugegeben: Mir rutschte nach acht Monaten selbst gelegentlich ein englisches Wort in die deutschen Gespräche. „Willst du mit zum Dinner kommen?“ war so ein Satz. Offensichtlich war das kein Versuch, mit meinen Englischkenntnissen zu protzen. Aber während Deutsche in New York mit Vorliebe „verdenglischen“, reagieren Deutsche in Deutschland manchmal sehr empfindlich auf Anglizismen: „Lern du mal wieder richtig Deutsch“, war eine Standardreaktion.
Ich war auf jeden Fall sehr erleichtert, endlich wieder einen ganzen Abend und die darauf folgenden vierzehn Tage Deutsch sprechen zu können. Nicht übersetzen zu müssen, was ich dachte und fühlte. Alles auszusprechen, was ich zu sagen hatte. Statt die Hälfte für mich zu behalten, weil die Übersetzung einfach zu mühsam war, wenn jede fünfte Vokabel fehlte. Wieder Gespräche ohne verbale Verrenkungen zu führen war sehr erholsam.
Maren und ich erzählten und erzählten, füllten die Alltagslücken, die sich in den letzten Monaten in unsere Freundschaft geschlichen hatten. Wir lachten. Und ich warfroh, dass auch mal wieder jemand meine Scherze verstand. Im Übersetzungsstress ging mein Humor leider oft flöten. Das war auf Dauer gar nicht lustig.
Wir ließen im Hintergrund die Sonne untergehen, beobachteten, wie sie den Himmel über Manhattan in kitschige Töne tauchte. Das Licht in New York ist schwer zu beschreiben. Es war ganz anders als in Deutschland. Klar, warm und verheißungsvoll. Vielleicht, weil die Stadt auf demselben Breitengrad wie Neapel lag. Oder war der Smog die einfache, wenn auch unpoetische Erklärung für die romantische Sonnenuntergangsstimmung?
Jeden Morgen wachten wir mit einem strahlend blauen Himmel auf. Maren war sehr froh darüber. Ich auch. Schließlich hatte ich am Telefon ständig vom fabelhaften Wetter geschwärmt und schon befürchtet, dass der Vorführeffekt zu plötzlichen Wolkenbrüchen führen könnte. In den letzten acht Monaten hatte es wirklich kaum geregnet. Und wenn, dann schien am nächsten Tag gleich wieder die Sonne. Für vom Schietwetter geplagte Hamburger war New York ein echtes Sonnenparadies.
Mit dreihundert Sonnentagen wurde aus dem sonst so unberechenbaren Wetter eine verlässliche Konstante. Für mich noch immer ein ungewohnter Luxus. Wenn meine Mama sich am Telefon mal wieder das dritte Wochenende in Folge über Kaltwetterfronten und schier endlosen Regen beklagte und dann fragte: „Und, wie ist es bei euch?“, hatte ich fast ein schlechtes Gewissen. Denn die Antwort war wie immer: „Wunderschön, strahlend blauer Himmel, Sonnenschein.“
In den darauf folgenden Tagen schleppte ich Maren kreuz und quer durch die ganze Stadt und komprimierte für sie das New York, das ich in den letzen Monaten entdeckthatte. Ich bebilderte meinen Alltag, den ich schon seit Monaten versuchte hatte, am Telefon in Worte zu fassen, wollte, dass sie genauso begeistert war wie ich.
Ich zeigte ihr, in welchem Café ich morgens am liebsten meinen Latte trank, bei welchem Yogalehrer man am meisten schwitzte, wo es den besten Long Island Ice Tea, das schönste Jazz-Konzert und den wunderbarsten Ausblick gab.
Wir drängelten uns in Chinatown durch menschenverstopfte, wuselige Straßen, hörten und
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