Ein Jahr in Paris
Region wieder in den französischen Staat integriert wurde. Auch wenn seitdem Frieden und Völkerfreundschaft herrschen, die eine oder andere emotionale Tretmiene ist dennoch liegen geblieben.
Ich beschloss also, meinen faux pas wiedergutzumachen. Es
sollte sich nicht noch einmal die deutsch-französische Erbfeindschaft
an Elsass-Lothringen entzünden, und so suchte
ich den Käsehändler in der Rue Levis auf. „Bonjour, Monsieur.
Ich brauche bitte einen Münsterkäse.“
„Avec plaisir, Mademoiselle. Fermier, coopérative ou industriel?“
„Pardon?“ Ich wusste, die Sache hat einen Haken.
„Nun, wir haben einen Munster fermier vom Massif du Petit Ballon , hergestellt in der Ferme Wassmatt; dann einen Münster aus Lothringen von der Kooperative in Bulgnéville und falls Sie es wünschen, hätten wir auch noch einen industriell erzeugten Münster.“ Letzteres sprach er mit größter Verachtung aus. Oh, göttliche Franzosen!
„Verstehe“, sagte ich. „Eigentlich suche ich einen, der mit einer Goldmedaille ausgezeichnet ist.“
„Ah!“ Seine Miene erhellte sich. „Dann kommt eigentlich nur ein fermier in Frage. Wie viel bräuchten Mademoiselle denn in etwa?“
„Nun, ich dachte an einen ganzen.“
„ Désolé Mademoiselle , aber einen ganzen, unversehrten Münster haben wir heute nicht da. Die neue Ware trifft erst morgen ein.“
„Und wird morgen einer dabei sein?“
„Kann sein, kann auch nicht sein.“
„Aber Sie könnten einen für mich bestellen?“
„Möglicherweise ja – vielleicht aber auch nicht.“
Entweder wollte er mich auf Knien sehen oder er stammte aus der Normandie. Ich sah jedenfalls schwarz für mein Projekt häuslicher und internationaler Friedensrettung.
„Aber kommen Sie doch morgen wieder. Ich werde sehen, was ich tun kann.“
Ich hoffte inständig. Es ging natürlich nicht wirklich um den Käse. Wer weiß, wie lange man den Kühlschrank nicht würde öffnen können. Es ging um diesen Satz: „Das bringt wirklich nur eine Deutsche fertig!“ Er hatte mich an einem wunden Punkt getroffen, den ich heute wesentlich besser verstehe als damals. – Damals wollte ich keine Deutsche sein, und er hatte mich daran erinnert, dass man in den Augen anderer zunächst einmal bleibt, was man ist, wie viele Kilometer man auch immer zurücklegt. Man selbst macht es nicht anders, doch hatte ich bis zu diesem Moment nicht wirklich darüber nachgedacht. Als ich noch in Deutschland lebte, hatte ich einen Nachbarn, Daniel. Er war Lehrer an einer Schule in Glasgow und nahm für ein Jahr an einer Art Austausch teil. Wann immer ich ihm in der ersten Zeit begegnete, bildete sich in meinem Bewusstsein der Satz: Das ist Daniel, und er ist Schotte. Das war keineswegs abwertend gemeint, und allmählich wurde er auch einfach Daniel für mich. Aber das dauerte eine Weile, und warum sollte es den Franzosen mit mir anders gehen. Nur hatte ich in meinem – vermutlich wenig erfolgreichen – Bemühen, mich so schnell und unauffällig wie möglich anzupassen, nicht damit gerechnet. Und nun kam Thierry, über den ich mich gerade noch lustig gemacht hatte, und sah in mir nur „die Deutsche“. Noch dazu eine, die derart grob und kulturlos war, dass sie einen edlen Käse von einem vergammelten zu unterscheiden nicht in der Lage war. 26 Es kränkte mich, so gesehen zu werden, und das war mir als Gefühl neu und verwirrte mich. Wahrscheinlich hat jeder im Ausland schon einmal ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist der Moment, in dem man sich des gebrochenenVerhältnisses zur Geschichte der eigenen Nation bewusst wird. In Paris kommt dieser Moment früher oder später unweigerlich. Das hat zweierlei Gründe. Der eine ist, dass die Franzosen selbst ein völlig ungebrochenes Verhältnis zu la France haben. Sie mögen den ganzen Tag über die Regierung, die Behörden und die von beiden verschuldeten unsäglichen Zustände schimpfen, und dennoch sind sie aus tiefstem Herzen Patrioten. „Sicher, warum nicht?“, antworten sie auf die Frage, ob sie denn stolz darauf seien, Franzosen zu sein. Mit Nationalismus hat das erst einmal nichts zu tun. Ein Unterschied, den die Deutschen meistens nicht hinbekommen. „Aber“, wie Jean-Luc einmal meinte, „wir haben es auch ein bisschen einfacher als ihr. Wir hatten schließlich keinen Hitler.“
Und der ist – im weitesten Sinne – der andere Grund, von dem ich oben sprach. Denn diese Zeit ist nicht vergessen. Noch immer werden jedes Jahr am 25. August, dem
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