Ein Jahr in Paris
Schuhwerk tragen.
Aufgabe des Monats: Devenir une vraie Parisienne.
E S HALF NICHTS. Es musste angegangen werden. Ohne es würde ich immer eine Fremde bleiben, und kein Jules sich je nach mir umdrehen. Wovon ich spreche? Vom Pariserinwerden. Denn: Sie ist legendär. Sie ist bewundernswert. Sie ist das Beste, was Paris je zu Stande gebracht hat. La Parisienne . Wie Christian Lacroix weise bemerkte: „Une compilation de chlichés qui finissent par devenir réalité.“ Eine Mixtur von Klischees, die schließlich Realität geworden sind. Neben ihr fühlt man sich zwangsläufig wie eine nette Milchkuh an der Seite eines arabischen Rennpferds. Grobknochig, paarhufig, steifbeinig und stumpffellig. Falsch angezogen sowieso. Sie können sich vorstellen, wie das ist.
Es gibt dann, wie immer im Leben, zwei Möglichkeiten. Entweder man kombiniert willfährig Himmelblau und Löwensenfgelb und verkündet, es komme allein auf die inneren Werte an. Dann muss man allerdings auch damit leben, von nun an nicht mehr wahrgenommen zu werden. Denn nun istman une Anglaise , eine „Engländerin“, und das ist in den Augen von la Parisienne eine ganz arme Existenz.
Die andere Möglichkeit: selbst eine Pariserin werden. Zweifellos eine verlockende Aussicht. Leichtbeinig wird man übers Trottoir schweben. Die Männerwelt wird einem zu Füßen liegen und Blumenbouquets hinaufreichen wollen. Engländerinnen werden vor Neid ganz und gar ergilben. Kurz, es wird der Himmel auf Erden sein.
Aber:
Es ist nicht so einfach. Sie, die Pariserinnen, haben schließlich einen Vorsprung von Generationen. Ihre Urahninnen haben Madame Pompadour im Boudoir assistiert, ihre Großmütter sind von Manet gemalt und von Charles Baudelaire besungen worden, ihre Mütter haben Jackie Kennedy belächelt. Jahrhundertelanges Training hat sie geschliffen, was zum Beispiel im November, wenn der Rest der Welt bereits Kniestrümpfe anzieht und sich Schals umwickelt, dazu führt, dass die Pariserin noch immer zarte Fessel mit einem Hauch von Lederriemchen zeigt. Und das ohne auch nur den Hauch einer Gänsehaut, versteht sich. Ich habe das natürlich auch versucht, aber, ganz ehrlich, diese Blasenentzündung wünsche ich wirklich niemandem.
Einfach in eine Boutique in Saint-Germain gehen und dort exzessiv französisch einkaufen funktioniert mithin garantiert nicht. So hat es schon Königin Marie-Antoinette versucht, la pauvre . Als Vierzehnjährige von ihrer Mutter, der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, als Friedenspfand an Louis XVI. und das Haus Bourbon verheiratet, stand auch sie vor der großen Aufgabe. Sie hat gekauft und gekauft und gekauft – Staatsroben, Galaroben, Nachmittagsroben, Fächer, Fichus, Seidenbänder und Schuhe, Schuhe, Schuhe. Hat ihre Schneiderin Rose Bertin zur Ministerin für Mode ernannt und der französischen Seidenindustrie eine bisher niegekannte Hausse beschert und dem Staat unerahnte Schuldenberge. Und mit welchem Ergebnis? Ihr ganzes Königinnenleben lang, bis zur Guillotine, hat man sie „l’Autrichienne“ genannt – die Österreicherin.
Das Einzige, was man auf diesem Wege also sicher zuwege bringt, ist der finanzielle Ruin. Da dieser aber sowieso ansteht, kann man es gleich geschickter angehen. Wer will schließlich, pardon, Österreicherin werden? Eben.
Gleichfalls erfolglos, ja geradezu kontraproduktiv ist es, die Vorschläge französischer Modemagazine zu beherzigen. Selbstverständlich liest auch die Pariserin ELLE und die drei „V“ (Vogue, Variety, Voici), doch nie und nimmer würde sie einen dieser Looks imitieren (dieses Wort können Sie mit der Ihnen größtmöglichen Verachtung lesen). Die panoplie de la fashion victim 28 ist also unbedingt zu vermeiden. Modemagazine dienen der fortgeschrittenen Pariserin allerhöchstens zur Inspiration, und wirklichen Erfolg hat sowieso erst diejenige, der es gelingt, selbst eine modische tendance zu lancieren. Als Anfängerin sollte man dergleichen allerdings gar nicht erst versuchen. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.
Was also tun, um in die Seele der Parisienne zu schlüpfen?
Es gibt ein paar Regeln. Dazu gleich mehr. Vorweg ist zu sagen, dass diese Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden. Aber: Einfach brechen ist natürlich keine Kunst und der Pariserin darum viel zu ordinaire . Es kommt vielmehr darauf an, wie man diese Regeln bricht und bis zu welchem Grad. Alles ist eine Frage der Tendenz, der Nuance, der Andeutung.
Also: Natürlich schminkt man sich
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