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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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nicht wie ein wandelnder Chicogo-Spot. Wer jedoch die Fünfundzwanzigüberschritten hat und sich noch immer auf seine großen Augen und die üppige – bald von ersten grauen Haaren durchzogene – Lockenpracht verlässt und weiterhin ausgeleierte Pullover und löchrige Jeans trägt, ist nicht etwa „natürlich“, sondern schlicht eine sauvageonne attardée , was mit „verspätete Wilde“ in seiner ganzen Bedeutungsfülle nur unzureichend übersetzt ist. Jedenfalls wird niemand sie mehr anschauen. Und das ist definitiv das Schlimmste, was einer echten Pariserin passieren kann, dass niemand guckt. Für den Blick wird sie alles tun, natürlich ohne dass man den Aufwand bemerkt. Sie muss dazu nicht hübsch sein. Es genügt die Fähigkeit, den unbedeutendsten Akten des gewöhnlichen Lebens einen Hauch von Chic und expression zu verleihen – et voilà: on la regarde, man schaut sie an.
    Was die Kleidung betrifft: Die Pariserin, nennen wir sie Cécile oder Delphine, macht keinen Unterschied zwischen Soirée und Alltag. Erstere ist höchstens eine Steigerung des Letzteren, aber beides wird mit derselben Sorgfalt angegangen. Nie würde sie Joggingschuhe tragen wie die armen Amerikanerinnen. Turnschuhe trägt sie sehr wohl, auch zum schwarzen Burberry. Aber nur, wenn es Mode ist, und meist handelt es sich dann um Modelle, mit denen man sich, wollte man ernsthaft Sport betreiben, bereits nach wenigen Runden im Park die Knie ruiniert hätte. Überhaupt tut eine Parisienne sehr viel, wenn es die Mode will. Sie trägt bei bitterer Kälte hauchzarte halterlose Strümpfe, riskiert sehenden Auges einen verstauchten Knöchel, wenn die Saison nach unmäßig hohen Schuhen verlangt, nur um in der nächsten dann auf allerflachsten Ballerinas daherzuschweben, als sei nichts gewesen. Der Unterschied zum fashion victim ? Nie wird sie aussehen wie auf einem Modefoto, sondern immer wie sie selbst. Das macht den feinen Unterschied, dieses nicht zu fassende Etwas, durch das sie selbst in einem Kleid, das zweiNummern zu klein ist, noch fantastisch aussieht. So etwas kann einen echt fertigmachen, wenn man nicht dazugehört.
    Was alle Céciles und Delphines immer tragen: Make-up (auch wenn es nicht so aussieht, das ist dann nur der Stil maquillage naturel ) und die perfekte Frisur (John Nollet, Erfinder des legendären coupe „Amélie Poulain“, ruiniert Sie mit Plaisir). Außerdem unentbehrlich: das Täschchen. Das Täschchen ist überhaupt das Pariserischste an der Parisienne . Es ist immer sehr hübsch und korrespondiert auch ganz wunderbar mit den in Kapitel 3 bereits erwähnten Pudeln. In seiner Haupteigenschaft ist es allerdings schrecklich unpraktisch. Entweder hat es – saisonbedingt – die Ausmaße eines mittleren Reiserucksacks angenommen oder ihm fehlt der Schulterriemen, so dass man es die ganze Zeit über in der Hand halten muss, oder es passt gar nichts hinein. Portable 29 , Lippenstift, Kreditkarte – fini, mehr geht nicht. Mehr braucht man aber auch nicht. Nie nämlich würde sich eine Pariserin mit Einkäufen belasten; nie sieht man sie etwa schwere Tüten schleppen. Wofür gibt es schließlich die Erfindung der livraison à domicile ? (Man kann sich in Paris fast alles nach Hause liefern lassen – Pizza, Blumen, Weihnachtsbäume, Schokolade und eben die Supermarkteinkäufe.) Allein großformatige, mit viel Seidenpapier ausgepolsterte Tüten von Boutiquen wie Colette 30 , Zadig et Voltaire oder auch Le Bon Marché sind erlaubt.
    Was Sie an einer echten Pariserin niemals entdecken werden: Hotpants, Bauchfreies, löchrige Jeans, Minirock in Kombination mit zu hohen Absätzen. Ab sechzehn sind diese Dinge tabu. Auf der anderen Seite der Skala der Dinge, die auf keinen Fall erlaubt sind, rangieren Perlenketten, formlose Janker und Langeweile.
    Ebenso untragbar sind Speckverstecker aller Art, also kubische Zeltbahnen oder Maxipullover, die physische Unzulänglichkeiten der Silhouette, wie etwa einen Birnenpo, kaschieren sollen. Die Pariserin hat klug erkannt, dass Versuche dieser Art immer das Gegenteil bewirken. Falls (falls!) sie einen kleinen défaut haben sollte, lenkt sie die Aufmerksamkeit des Betrachters lieber woandershin.
    Weiterhin ein Fall für die Altkleidersammlung sind sämtliche Kleidungsstücke, die: ausgeleiert, verwaschen oder zu groß sind, einen Fleck haben oder deutlich vorvorige Saison sind.
    Darüber hinaus gibt es ein paar Verhaltensweisen, tout à fait parisiennes :
    Französisch für Anfängerinnen

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