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Ein Jahr in San Francisco

Ein Jahr in San Francisco

Titel: Ein Jahr in San Francisco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Bayers
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denn kaum bin ich aus der Wohnung raus, klingelt mein Handy: „Was soll denn dieser Auftritt? Wieso machst du dich einfach aus dem Staub?“ – „Wir zwei waren verabredet, falls du das vergessen hast.“ – „Es war gerade so lustig, entspann dich! Du hättest doch auch bei deinen Freunden bleiben können, wenn dir das hier nicht passt.“ Im Hintergrund grölen seine Kumpels. „Ich wollte aber etwas mit dir machen. Im Gegensatz zu dir ist mir das nämlich wichtig.“ – „Sei doch mal ein bisschen relaxter. Schließlich sind wir nicht verheiratet.“ – „Vergiss es einfach, Nick“, sage ich und lege auf. Viel zu viele Fragen gehen mir durch den Kopf, während ich durch die Nacht San Franciscos nach Hause laufe. Trage ich nicht genug kalifornische Ruhe in mir? Habe ich zu aufgebracht reagiert? Legt Nick überhaupt irgendeinen Wert auf unsere Beziehung?
    Ich eile den Telegraph Hill hinauf, bemerke gar nicht, dass ich schwitze, denn dafür bin ich viel zu aufgewühlt. Als ich die Tür zu Charles’ und meiner WG öffne, höre ich laute Stimmen, Lachen und das Klirren von Gläsern. „Dies ist eine Ernte von 2004. Sehr zu empfehlen.“ Kurze Stille, jemand schenkt ein. Charles hat mal wieder eine seiner Weinproben. Ich höre ihn und seine Sommelier-Freunde schlürfen und lachen, während ich im Flur aus meinen Schuhen schlüpfe. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich am Wohnzimmer vorbei in mein Zimmer. Keine Lust auf Menschen! Mit Blick auf die funkelnde Bucht und dem mulmigen Gefühl, dass die Beziehung zu Nick bereits vorbei sein könnte, bevor sie so richtig angefangen hat, schlafe ich erschöpft ein.
    Eines habe ich schon immer sehr gut gekonnt: während der Arbeit alles verdrängen. Und so stürze ich mich in den Büroalltag, habe jede Menge Meetings, muss für meinen Arbeitgeber neue Vertriebswege in den USA aufzeigen und sitze nach Feierabend noch lange mit Vijay zusammen. Seit einigen Wochen habe ich Vijay mehr und mehr bei der Arbeit an Healthquestion unterstützt. Am vergangenen Donnerstag fragte er mich schließlich, ob ich nicht Interesse hätte, die Plattform mit ihm gemeinsam zu entwickeln und die Schnittstelle zu Ärzten und Patienten aufzubauen. „Ich könnte mich dann auf das Programmieren konzentrieren. Das macht mir Spaß. Aber ich habe ehrlich gesagt keine Idee, wie ich die Vermarktungsmaschinerie ankurbeln und Besucher auf die Seite bekommen soll. Ich glaube, dass du das viel besser kannst“, sagte er. „Wir können gemeinsam einen Businessplan entwickeln und uns gegen Ende des Jahres – wenn wir intensiv genug daran arbeiten – möglicherweise schon um eine Finanzierung bewerben. Was meinst du? Hättest du Lust?“ Ich weiß nicht, wieso, vielleicht, weil ich bereits amerikanischer geworden war oder einfach Ablenkungvon Nick brauchte: Jedenfalls sagte ich ohne groß zu zögern zu. Damit war Healthquestion unser „Baby“, wie Vijay es ausdrückte und ich war meinem Start-up-Traum ein kleines Stückchen näher gekommen.
    Wenige Tage später. Gemeinsam mit Charles und Vijay stehe ich am Marina Green Beach. „Harte Burschen. Erst die Bucht schwimmend bezwingen und dann alle abgefrorenen Körperteile auf dem Rad transportieren …“ Wir fiebern mit beim Escape from Alcatraz , einem jährlich im Juni stattfindenden Extremsport-Event, bei dem die 2000 besten Triathleten der Welt auf über 20 000 Zuschauer treffen. Die starken Strömungen und die Eiseskälte des Wassers machen die eineinhalb Meilen bis zum Ufer zu einer Herausforderung für jeden Schwimmer. Und danach stehen noch achtzehn Meilen Rennradfahren und acht Meilen Laufen auf dem Programm. „Die härteste Lady steht allerdings direkt neben mir. Nicht wahr, Partner?“, sagt Vijay witzelnd und auch ein bisschen stolz und legt mir den Arm um die Schulter. Und ich lege meinen Arm um seine Hüfte. In diesem Moment weiß ich: Er baut auf mich und wir sind ein Team. Charles hingegen zeigt auf die Bucht hinaus, die wie ein tintenblauer, glatter Spiegel vor uns liegt und vom Marina Green Beach aus harmlos und ruhig aussieht. „Go for it!“, ruft Charles. Er feuert die Teilnehmer an – vor einigen Jahren hat er selbst einmal teilgenommen. Kurz darauf hechten die ersten Schwimmer aus dem Wasser. Die mit farbigen Badekappen bedeckten Köpfe glänzen in der Sonne wie kleine Stecknadelköpfe. Kaum merklich bewegen sie sich immer näher auf uns zu. In diesem Moment klingelt mein Handy in meiner Handtasche. Auf dem Display erscheint das

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