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Ein Jahr in San Francisco

Ein Jahr in San Francisco

Titel: Ein Jahr in San Francisco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Bayers
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übliche Zitat nicht vergessen. So machte sie es früher schon immer in ihren handgeschriebenen Briefen:
    „No synonym for God is so perfect as Beauty (Kein Synonym für Gott ist so perfekt wie die Schönheit)!“
    Mir gefällt das Zitat von John Muir fast besser als das zugegebenermaßen amüsante Bild von Rita, auf dem sie samtBrotstulle im Mund den Grizzly Giant Sequioa umarmt. Der Naturforscher John Muir gilt als „Vater der Nationalparks“, und er war derjenige, der den damaligen Präsidenten Theodor Roosevelt nach einer mehrtägigen Tour durch den Yosemite-Park von der enormen Bedeutung des Landschaftsschutzes und dem Aufbau der Nationalparks überzeugte. Wie viele Menschen wohl schon vor Rita den Baum so umarmt haben?
    Während ich die Mail meiner Mutter lese, werde ich fast ein bisschen neidisch. Denn als ich im Frühjahr mit Sophia und Mari Carmen den Yosemite Nationalpark besuchte, lag so viel Schnee, dass wir einige der Redwoods gar nicht sehen konnten. Bereits im letzten Ort vor dem Parkeingang in Mariposa herrschte heftiges Schneewehen, und keine zwei Meilen weiter mussten wir Schneeketten kaufen. „Habt ihr eine Idee, wie man die Dinger aufspannt?“, fragte Mari Carmen. Nein, natürlich nicht. Drei Frauen im verschneiten Nationalpark! Es kostete uns zwei Stunden und die Finger waren uns fast abgefroren, bis wir die wichtigen Helfer montiert hatten. Den Rest des Ausflugs versuchten wir im meterhohen Schnee die Redwood-Bäume ausfindig zu machen und bibberten um die Wette.
    Freitagabend: Komplett erschöpft von der Woche komme ich nach Hause. Mom und Rita sind weiter auf großer Tour, und ich habe die ganze Woche über viel Zeit mit Vijay verbracht. Während er die Website verbessert und mit Hilfe von Alex das Web-Design weiterentwickelt, stelle ich den Kontakt mit einigen Ärzten und Versicherungsgruppen her. Für heute steht gemeinsames Kochen mit Charles auf der Tagesordnung. „Sag mal, Sonntag wolltest du doch mit deiner Mom und deiner Tante nach Sonoma und Napa Valley, oder?“ – „Ja, ich hatte nur leider noch gar keine Zeit, ein paar gute Kellereien auszusuchen. Tante Rita hat am Sonntagauch noch Geburtstag.“ – „Ich kann euch gerne fahren und ein bisschen was zeigen. Das ist ja meine Welt“, bietet Charles an. „Wirklich? Das wäre total cool. Vielen Dank!“ Insgeheim habe ich zwar gehofft, Nick würde mitkommen, aber wieder mal ist er für ein Kletterwochenende ausgeflogen und anscheinend wenig darauf erpicht, meine Familie bei einer Tour durch rebenbedeckte Berge und einladende Weinkellereien kennenzulernen. Vor ein paar Tagen waren wir abends gemeinsam essen, doch er wirkte einsilbig und abgelenkt – irgendwie seltsam. Also muss Charles herhalten.
    Ganz zur Freude von Rita, denn sie kann ihn sehr gut leiden. Am Sonntagmorgen quetschen meine Mom und ich uns auf die Rückbank von Charles schwarzem Mini, das Geburtstagskind steigt vorne ein. Meine Mutter und ich grinsen uns geheimnistuerisch an – schließlich steht Rita noch eine kleine Geburtstagsüberraschung bevor. Doch Rita ist auch ohne Überraschung schon völlig aus dem Häuschen und knipst aufgeregt ein Foto nach dem nächsten aus dem heruntergekurbelten Autofenster. „Wann wirst du bitte je wieder alle diese verwackelten Fotos von bunten Victorians anschauen?“, fragt Charles schmunzelnd, und Rita wirft ihm nur ein mildes Lächeln zu, während sie ihren Zeigefinger bereits wieder auf den Auslöser drückt. Die Stadt liegt hinter uns, und als wir gerade auf die mächtige Golden Gate Bridge auffahren, da stimmen Charles, Mom und ich an: „Happy birthday to you, happy birthday to you! Happy birthday, dear Rita …“ Rita strahlt übers ganze Gesicht. „Ach, ihr seid so süß!“ Meine Mutter zaubert einen kleinen Piccolo-Sekt aus ihrer Tasche, reicht ihn Rita und ruft: „To you, Rita!“ Die ist mächtig gerührt. Eine dicke Träne kullert über ihre Wange, während hinter ihr im Fenster die orangefarbenen Stahlseile der Brücke vorbeizischen. Am Nordende der Brücke biegt Charles rechts zum Vista Point ab, an dem wir gemeinsammit Sekt anstoßen, Rita ihr Geburtstagsgeschenk überreichen und über die märchenhaften Hügel auf die Skyline von San Francisco blicken. „Ach, Schatz! Ich bin so froh, dass ich auf meine alten Tage so etwas noch einmal erleben darf“, schluchzt Rita gerührt, während sie zwischen Mom und mir steht und wir für ein Familienfoto vor Charles posieren. „Also, bitte! Mit 55 fängt das

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