Ein Jahr in San Francisco
schließlich und lächele ihn an. Nach vier Tagen Burning Man geht es zurück nach San Francisco. Die Reise in die sandige Fantasiewelt ist kurz und intensiv und etwas ganz Besonders gewesen.
Als ich gerade mit meiner Familie und Charles auf dem Weg zurück von Sonoma war, hatte Alex mich angerufen. Eine Freundin von ihm sei kurzfristig abgesprungen. „Möchtest du zum Burning Man mitkommen? Wir haben einen Platz frei.“ – „Na, klar. Das lasse ich mir doch nicht entgegen.“ Der Burning Man , das wohl ausgefallenste Festival der Lebenskunst mitten in der Wüste von Nevada. In der Black Rock City, in einem ausgetrockneten Sandsee 150 Kilometer nordöstlich der Stadt Reno, wird jedes Jahr zwischen Ende August und Anfang September für acht Tage eine Traumoase erschaffen. Circa 50 000 Menschen kommen zusammen, um sich selbst zu verwirklichen, um sich künstlerisch auszudrücken, das spirituelle Gemeinschaftserlebnis zu erfahren oder einfach nur, um ungehemmt zu feiern. Monatelang bereiten sich die Teilnehmer, die Burner , auf das Festival vor und bauen in liebevoller Handarbeit ausgefalleneSkulpturen und Kunstwerke auf Rädern, Art Cars genannt, die sie dann auf der Playa zur Schau stellen. Playa nennt sich die Stadt aus Camps, Zelten und Art Cars , die im Halbkreis um die vierzig Meter hohe Holzfigur, den Burning Man , angelegt wird, der am Ende des Festivals verbrannt wird. Während des Festivals wird außer Eis und Kaffee nichts verkauft, und so muss sich jeder Teilnehmer selbst versorgen können oder vor Ort in der Wüste mit anderen Burnern in Tauschhandel treten. Der Ursprung des schillerndsten Kunstund Kulturfestivals der Welt geht auf ein schmerzhaftes Ereignis zurück. Larry Harvey ließ 1986 am Baker Beach in San Francisco im engsten Freundeskreis eine Strohpuppe in Flammen aufgehen: als Ausdruck des Schmerzes über den Krebstod seiner Frau. Seitdem wurde der Brauch jedes Jahr zur Sommersonnenwende wiederholt. Als schließlich über fünfhundert Menschen daran teilnahmen, verbot die Stadt das Verbrennen der Figur am Strand, und das Festival wurde kurzerhand in die Wüste von Nevada verlegt.
Alex hatte mit Freunden mehrere Monate daran gebastelt, einen alten Bus in einen überdimensionierten Einkaufswagen zu verwandeln. Nur um damit einige Stunden mit uns über die Playa zu fahren. Neben uns winkten die Burner aus den kunstvoll gestalteten Wagen: bunte Fabelwesen, leuchtende Kutschen, glitzernde Fische mit weit geöffneten Mäulern, in denen die Burner tanzten; oder Ufos, aus denen blecherne Technobeats in die Wüste schallten. In unserer letzten Nacht haben wir die schimmernden Laternen an unserem Art Car angeschaltet und bis tief in die Nacht auf dem Wagen getanzt. Nie ist mir eine Kunst- und Kulturerfahrung stärker unter die Haut gegangen: der Sonnenaufgang in der Wüste, diese Spontaneität, wenn du mit anderen Burnern Theatergruppen und Bands gründest, oder wenn jemand deine Hand hält, während du weinend das Verbrennen der Holzstatue betrachtest.
Nun ist alles vorbei, wir fahren wieder nach San Francisco, im Kofferraum die Abfälle der letzten Tage, denn in der Wüste darf nichts zurückgelassen werden. Zurück in der WG werfe ich die Müllsäcke weg, erzähle Charles von dem exotischen Trip und falle so früh ins Bett, wie schon lange nicht mehr. Die Wüste hat mich geschafft, und ich habe einiges an Schlaf nachzuholen! Am nächsten Morgen muss ich mich erst wieder daran gewöhnen, nicht im Zelt unter dem Wüstenhimmel, sondern in meinem Bett zu liegen. Doch so fantastisch und einzigartig der Ausflug in die bunte Parallelwelt auch gewesen ist: Der Alltag geht weiter, und das heißt für mich heute: theoretische Fahrprüfung.
So stehe ich ein paar Stunden später im DMV, dem Department of Motor Vehicle , das sich im Stadtteil North of Panhandle unweit des Golden Gate Parks befindet, und beantworte andächtig die 35 Multiple-Choice-Fragen auf meinem Prüfungsbogen, die nicht allzu sehr von denen eines deutschen Theorietests abweichen. „Okay, let me see your test results!“ Ich reiche dem mexikanisch aussehenden Herrn hinter dem Schalter des DMV meinen Zettel und beobachte gespannt, wie er meinen Bogen mit den richtigen Antworten abgleicht. Maximal sechs Fehler darf man sich leisten. Doch selbst, wenn es beim ersten Anlauf nicht klappen würde, wäre das gar nicht so schlimm. Schließlich kann man die Prüfung direkt im Anschluss, das heißt am selben Tag, noch bis zu dreimal wiederholen,
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