Ein Jahr in Stockholm
Kirchturmspitzen der Altstadt, die als schwarze Dreiecke in einen tiefblauen Himmelstechen, und bemitleide den Rest der Welt, der das Glücksgefühl dieses Moments, zur perfekten Zeit am einzig richtigen Ort zu sein, nicht mit uns teilen kann.
Allerdings würde ich zu gern wissen, wo ich diesen Pelle schon einmal gesehen habe.
augusti
So wie Onkel Bertil an einem etwas frischen Freitagvormittag aus dem Zugabteil steigt, könnte man meinen, wir hätten uns zu einer mehrmonatigen Safari verabredet: wild gemustertes Hemd, beigefarbene Hose, robuste Schuhe, Hosenträger. Auf seinem Kopf sitzt ein zerzauster Panamahut, mit dem Bertil aussieht wie eine Kreuzung aus Winston Churchill und Erich Honecker. „Mensch, Onkel, dir fehlt ja nur noch das Netz zum Schmetterlingefangen!“, ruft Lars und hilft, einen Kastenkoffer aus dem Waggon zu wuchten.
Ich würde zu gern sehen, was der Gute für die drei Tage geladen hat, aber erst mal ist es Zeit für eine fika . Wenige Straßen hinterhalb des Bahnhofs, im hübsch gefliesten Café Frankfurt an der Pipersgatan, hören wir bei einer macka (einem gegrillten Sandwich) mit baskischem Schafskäse und einem Liter Senf, was uns Bertil so alles in der Stadt zeigen will. „Ein Muss ist die Vasa, das Kriegsschiff“, bestimmt er: „Ein tolles Ding. Von 1628, das muss man sich mal vorstellen bei den immensen Ausmaßen und dem Prunk. So haben wir damals den Rest der Welt das Fürchten gelehrt.“ – „Die Vasa ist doch gleich im Hafen gesunken“, füge ich irritiert an.
Aber das ist natürlich nicht der Punkt. Nicht für den gekränkten Bertil. Denn das ändert ja nichts an der Baukunst der Nation. Der Punkt ist der geniale Erfindergeist, der Weltkonzerne wie Ericsson hervorgebracht hat. Und das erklärt auch, warum Buddelschiffe mit absaufender Vasa der Renner in den Souvenirläden sind. Selbst Touristen begreifen schneller als ich.Auf dem Plan für unseren gemeinsamen Städteurlaub stehen des Weiteren:
das einzige Tanzmuseum der Welt mit einer sinnbildlich getanzten Verbindung zwischen Stockholm und Tokio,
das Estonia -Monument. In die Wände des bugförmigen Denkmals sind die meisten Namen der 852 Toten der Schiffskatastrophe von 1994 eingraviert; darunter gut fünfhundert Schweden – und Emma, Bertils ehemalige Schulkameradin; außerdem:
das Wasser am Königspalast, wo Bertil schwimmen und anschließend eine der Lachsforellen angeln will, die jedes Jahr für Leute wie ihn dort ausgesetzt werden.
Bevor wir die kuriose Mischung angehen, müssen wir seinen Riesenkoffer in der WG abstellen. Das wird schwerer und schwieriger als erwartet. Zu Caros und meinen Stockholmer Marotten gehört es, dass unsere Haustürschlüssel unbeachtet in der Küche herumliegen. Die Tür zu unserem Block ist wie alle anderen in der Stadt mit einem Sicherheitscode versehen, weshalb wir die Wohnung im vierten Stock nicht absperren und die Schlüssel nur mitnehmen, wenn wir in den Nächten unterwegs sind und sich das Sicherheitskästchen irgendwann abschaltet.
Heute schlägt die Vorrichtung Alarm, als ich den Türcode eintippe.
„Wann hat euer Birger Jarl noch mal Stockholm gegründet oder im Brief erwähnt?“, frage ich Lars, der mir diese Eselsbrücke gebaut hat. „1252.“ – „Mach ich doch“, rufe ich und haue entnervt auf den Kasten, woraufhin mir Bertil beruhigend auf die Schulter klopft. „ Ta det lugnt , Mädchen! Und jetzt lass uns endlich in die gute Stube, dann finden wir schon eine Lösung.“
Eine halbe Stunde später sitzen wir tatsächlich am Küchentisch. Eine ältere Dame, die mit ihrem Dackel über mirwohnt, hat uns ins Haus gebracht und die neue Nummer verraten.
„1972, Liebchen, das Jahr, als ABBA entstanden ist.“ Da ich nicht immer bei der Frau klingeln kann, um mich zu erkundigen, wann Agnetha, Benny, Björn und Anni-Frid zueinandergefunden haben, bitte ich meine beiden Schweden um eine Merkhilfe. Lars und Bertil nennen spontan Olof Palmes Zerwürfnis mit den USA (als er die Vietnam-Bombardements mit den Gräueltaten der Nazis gleichsetzte), die Abschaffung der Todesstrafe oder auch Björn Borgs ersten Davis-Cup-Sieg (mit fünfzehn Jahren wohlgemerkt). Alles interessante Beispiele aus der Geschichte, die ich aber im gleichen Moment wieder vergesse. Ich präge mir ein, dass König Carl Gustaf seine Silvia im Türcode-Jahr bei den Olympischen Spielen in München kennengelernt hat. Das kann ich zur Not nachrechnen.
Bertil hat seine Sachen halbwegs im Bad und in
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