Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
innerlich ganz eisig. »Aber es gibt einen Mr Barraclough, der hier arbeitet. Zumindest bis vor zwei Tagen – oder besser, bis vor zwei Jahren.«
»Mr Barraclough?« Sie ist kalkweiß geworden. »Bobby Barraclough?«
»Das weiß ich nicht. Ich kenne seinen Vornamen nicht. Er sagte, es wäre sein letztes Jahr hier. Er wollte bis zu seinem fünfzigsten Geburtstag bleiben, dann sei Schluss. Er würde gehen.« Als ich das sage, rieselt mir das eisige Gefühl durch den ganzen Körper. Sein fünfzigster Geburtstag – will er deshalb aufhören? Hat es etwas mit Mrs Smith zu tun?
Mrs Smith starrt mich an, alle Farbe ist aus ihren Wangen gewichen. »Du liebe Güte«, sagt sie. »Ach du liebe Güte.«
»Was? Was ist los?«
»Sein Fünfzigster. Sein Fünfzigster. Ich war ja so töricht, noch viel törichter, als ich angenommen habe. Ich hatte mein ganzes Leben, um mich darauf vorzubereiten, und vermassele es.«
»Was vermasseln Sie?«
»Er war doch ein Jahr älter als ich! Ich bin ein Jahr zu spät gekommen!« Sie steht auf und geht auf und ab. »Es war sein letztes Jahr, sagst du?«
»Ich glaube.«
»Und was wollte er danach tun?«
»Ich – ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, er hat gesagt, dass er auf Reisen gehen will.«
»Mit seiner Familie? War er verheiratet?«
Ich versuche mich an alles zu erinnern, was ich von ihm weiß. Ich habe ihn immer nur allein gesehen. Aber schließlich nimmt man seine Frau ja auch nicht zur Arbeit mit, oder? »Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht«, sage ich schließlich. »Tut mir leid.«
Sie bleibt stehen. »Nein. Mir tut es leid.« Sie versucht zu lächeln. »Sieh mich nur an. Ich kann einfach nicht loslassen! Es ist vorbei. Der alberne Traum eines albernen Mädchens. Einer albernen alten Frau. Es gibt kein Zurück mehr. Der Traum ist geplatzt. Bobby ist fort. Er ist weitergezogen, und für mich wird es Zeit, das auch zu tun.«
»Aber vielleicht ist er ja doch noch nicht weg!«, platze ich heraus. »Vielleicht wollte er deshalb aufhören. Vielleicht ist er deshalb bis dahin geblieben – wegen Ihnen!«
Sie sieht mich an. Ein Hoffnungsfunke glimmt in ihren Augen. Dann schüttelt sie den Kopf. »Nein – ich gebe mich keinen dummen Hoffnungen hin, so auf Verdacht. Er ist jetzt auf jeden Fall weg, selbst wenn es so war , wie du gesagt hast – was ich sehr bezweifle.«
»Kommen Sie zurück mit mir und finden Sie es heraus!«, rufe ich. »Der Fahrstuhl – er funktioniert wieder!«
»Der Fahrstuhl? Dann habe ich recht gehabt – es war bei dir also auch der Fahrstuhl, der dich in die Zukunft gebracht hat?«
Ich nicke. Und dann fällt mir noch etwas ein. »Es war der Tag, nachdem er hier war.«
»Nachdem wer wo war?«
»Mr Barraclough – er hat versucht, den Fahrstuhl zu reparieren! Vielleicht aus genau diesem Grund! Vielleicht hat er ihn für Sie repariert!« Ich versuche mich zu erinnern, was er da zu mir gesagt hat, aber es gelingt mir nicht. Ich weiß nur noch, dass es etwas wirr klang. Aber vielleicht doch nicht so wirr! Vielleicht hat er genau über diese Sache gesprochen.
Mrs Smith fährt sich mit der Hand durchs Haar und saugt die Wangen ein. Dann schüttelt sie den Kopf. »Nein, ich kann nicht«, sagt sie.
»Warum nicht?«
»Jenny, deine Theorie steckt voller ›wenns‹. Viel zu viele, um zu hoffen, dass sie alle in meine Richtung deuten. Es gibt kein Zurück. All die Jahre habe ich mit diesem permanenten Refrain im Kopf gelebt. Man kann nicht zurück. Man muss nach vorne schauen.«
»Aber was ist, wenn Sie …«
Sie machte eine beschwichtigende Geste. »Nein, ich kann es nicht. Vielleicht letztes Jahr, ja, da wäre es möglich gewesen. Selbst vor ein paar Tagen hätte ich vielleicht Ja gesagt. Ich hätte es vielleicht gewagt, mir eine weitere erniedrigende Abfuhr abzuholen. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt wird mir klar, warum ich noch einmal hergekommen bin.«
»Warum denn?«
»Um loszulassen. Um weiterzuleben. Ich habe mit der ganzen Sache meinen Frieden gemacht, und ich will nicht riskieren, diesen kostbaren Frieden wieder zu zerbrechen. Ich kann nicht, Jenny. Nicht in meinem Alter.«
»Aber vielleicht ist er …«
»Nein, ich kann nicht. Ich will nicht. Mein ganzes Leben lang habe ich nach vorne geblickt. Ich kann nicht zurück. Außerdem glaube ich nicht, dass er in den letzten fünfunddreißig Jahren auch nur einen Augenblick an mich gedacht hat. Jetzt, wo ich hier bin, kann ich das sehr deutlich erkennen. Er ist fort. Es ist zu
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