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Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Titel: Ein Jahr ohne Juli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Kessler
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wenn ich mit dem Kopf ganz woanders bin.
    »Sie haben mir erzählt, was sie da drüben auf der anderen Straßenseite bauen«, sagt er, und seine Augen leuchten vor Aufregung. Was finden sechsjährige Jungen nur so faszinierend an Bauarbeitern? »Sie machen ein neues Gebäude, da gibt’s dann Tischtennis und Billard und einen Kicker«, sagt er grinsend.
    »Ist ja toll. Was noch?«
    »Hmm.« Craig drückt den Finger ans Kinn. »Sonst nichts.« Er schlenkert meine Hand beim Gehen. »Ach, doch«, sagt er, als wir uns unserem Trakt nähern. »Sie haben erzählt, dass das da« – er deutet zurück zu Julis Anlage – »mal ein Hotel war, da sind lauter feine Leute hingekommen. Das Personal hat im Untergeschoss gewohnt, als Gast hat man die Zimmermädchen und Hausdiener nie gesehen und …«
    Ich bleibe stehen und zerre ihn vor mich, damit ich ihn ansehen kann. »Was – wer?« Mir ist der kalte Schweiß ausgebrochen.
    »Das Personal. Man hat es nie zu Gesicht gekriegt, weil alle …«
    »Nicht das Personal.« Ich breche ab und hole Luft. »Das Untergeschoss. Du hast gesagt, dass es ein Untergeschoss gibt.«
    »Ja, da haben die gewohnt.«
    »Wirklich?« Ich lasse Craigs Hand los.
    »Was? Was ist los? Was hab ich denn gesagt?«
    Es gibt ein Untergeschoss! Vielleicht kann mich der Fahrstuhl hinfahren. Nein, doch nicht – ich habe ja alle Knöpfe schon gedrückt. Für ein Untergeschoss war keiner da. Aber vielleicht habe ich nicht richtig hingesehen. Vielleicht geht es ja doch. »Ich muss noch was machen.« Rasch kehre ich zu Julis Gebäude um.
    »Ich komm mit!« Craig läuft mir hinterher.
    »Geh du zurück zur Wohnung, Craig.«
    »Ich komm mit dir.«
    »Nein.«
    »Wo gehst du denn hin?«
    Ich laufe schneller. »Ich weiß nicht.« Das stimmt. Ich weiß nicht, wo mich der Fahrstuhl hinbringt und ob es überhaupt noch ein Untergeschoss gibt. Aber es muss einen Versuch wert sein. Es ist meine einzige Hoffnung – und ich gebe nicht auf, bis ich alles versucht habe.

    »Was machst du?«
    Ohne auf Craig zu achten, suche ich die Fahrstuhlwand ab. 3, 2, 1, EG . Sonst nichts. Ich bin also in jeder Etage gewesen. Mir wird ganz elend, mein letzter Hoffnungsfunke erlischt.
    Aber halt mal. Vielleicht bin ich doch nicht in jeder Etage gewesen. Das Sperrholzbrettchen unter den Knöpfen. Kann es sein, dass sich dahinter etwas verbirgt?
    Ich versuche, es abzustemmen, aber es sitzt fest.
    »Was machst du denn da?«, fragt Craig und reckt den Hals, um zuzusehen, wie ich erfolglos an dem Brett herummache.
    »Nichts. Lass mich in Ruhe, Craig.«
    Er zuckt mit den Schultern und verschwindet – aber schon einen Moment später ist er zurück.
    »Craig, ich hab doch gesagt, dass du …«
    »Hier, versuch’s mal damit«, sagt er und hält mir einen Schraubenzieher hin.
    Ich starre ihn an. »Wie hast du … Wo hast du den denn her?«
    »Von den Arbeitern«, sagt er mit der schlichten Logik, die nur sechsjährige Jungen haben können.
    Ich nehme den Schraubenzieher. Dann umarme ich ihn schnell und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Hör auf!!!«, sagt er und wischt sich die Wange mit dem Ärmel ab. Insgeheim sieht er jedoch ziemlich stolz auf sich aus.
    Ich mache mich an den alten Schrauben zu schaffen, und schließlich habe ich sie alle draußen. Das Brett geht ab – und ich stoße die Luft aus, als ich sehe, was darunter ist. Ein gesprungener Knopf, der schief sitzt – und daneben die Buchstaben UG .
    Ein Untergeschoss! Es gibt tatsächlich ein Untergeschoss!
    Wohin wird es mich bringen? Ein Jahr zurück? Ich versuche mich zu erinnern, was vor einem Jahr los war. Kann ich mir zumuten, das ganze Jahr noch mal zu erleben?
    Aber ich brauche gar nicht darüber nachzudenken. Mikey stirbt nächste Woche. Es bleibt mir keine Wahl. Also gut. Meine einzige Chance, mich der Herausforderung zu stellen – und die Situation doch noch zu ändern.
    »Craig, geh zur Wohnung zurück«, sage ich und schiebe ihn aus dem Fahrstuhl.
    »Ich bleibe bei dir.«
    »Kommt nicht in Frage. Geh nach Hause.«
    »Nein!« Er zieht einen Flunsch.
    Ich seufze auf. »Na gut. Aber du kannst nicht mit reinkommen. Warte hier.«
    Ehe er etwas erwidern kann, schließe ich die Türen und starre den Knopf an, bis meine Augen tränen und die Buchstaben verschwimmen. Ich muss es machen.
    Der Knopf wackelt und klemmt etwas. Ich drücke fest darauf und sehe, wie Craigs Gesicht hinter dem kleinen Fenster in der Tür verschwindet und der Fahrstuhl klappernd und ächzend und

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