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Ein Jahr voller Wunder

Ein Jahr voller Wunder

Titel: Ein Jahr voller Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Thompson Walker
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blinzelte. »Ich meine, sie geht eindeutig unter.«
    Überall in der Straße fuhren elektrische Garagentore auf ihren Schienen hoch. Kombis und Geländewagen kamen heraus, voll beladen mit Kindern und Koffern und Hunden. Einige Nachbarn standen mit verschränkten Armen in Grüppchen zusammen auf ihrem Rasen. Alle beobachteten den Himmel, als warteten sie auf ein Feuerwerk.
    »Schau nicht direkt in die Sonne«, sagte meine Mutter, die neben mir auf der Veranda saß. »Sonst machst du dir die Augen kaputt.«
    Sie zupfte eine Packung AA-Batterien auf, die sie in einer Schublade gefunden hatte. Neben ihr lagen drei Taschenlampen auf dem Beton, ein kleines Lichtarsenal. Die Sonne hing weiterhin hoch am Himmel, aber meine Mutter war jetzt schon panisch wegen der Aussicht auf eine besonders lange Nacht.
    Am Ende der Straße entdeckte ich meine alte Freundin Gabby, die allein auf ihrem Dach saß. Seit ihre Eltern sie in eine Privatschule in der Nachbarstadt gesteckt hatten, sah ich sie kaum noch. Wie üblich war sie ganz in Schwarz gekleidet. Ihre gefärbten schwarzen Haare stachen vom Himmel ab.
    »Warum hat sie sich die so gefärbt?«, fragte meine Mutter, die Gabby ebenfalls entdeckte.
    »Weiß ich nicht.« Nicht sichtbar aus dieser Entfernung waren die jeweils drei Ohrringe, die an beiden Ohren hingen. »Sie hatte wohl einfach Lust dazu.«
    Ein tragbares Radio plapperte und brummte neben uns. Mit jeder Stunde gewannen wir mehr Minuten. Man stritt sich bereits um den Weizenpunkt – ich weiß bis heute nicht, ob das ein jahrzehntelang in den Glossaren von Fachbüchern vergrabener Begriff war oder ob er an jenem Tag geprägt wurde, als neue Antwort auf eine neue Frage: Wie lange können die wichtigsten Getreidearten ohne Sonnenlicht überleben?
    Meine Mutter knipste die Taschenlampen an und aus, eine nach der anderen testete sie in ihrer hohlen Hand. Sie schüttelte die alten Batterien aus den Griffen und legte neue ein, als würde sie Pistolen laden.
    »Ich weiß nicht, warum dein Vater mich nicht zurückgerufen hat«, sagte sie.
    Sie hatte das schnurlose Telefon mit auf die Veranda genommen, wo es schweigend neben ihr lag. Immer wieder trank sie schnelle, lautlose Schlucke von ihrem Scotch. Ich erinnere mich an sie, wie sie damals war, an das Klirren der Eiswürfel im Glas, das seitlich herabtropfende Wasser, das sich überschneidende Ringe auf dem Beton hinterließ.
    Natürlich geriet nicht jeder in Panik. Sylvia, meine Klavierlehrerin, die gegenüber wohnte, arbeitete weiter in ihrem Garten, als wäre überhaupt nichts passiert. Ich sah ihr zu, wie sie ruhig auf der Erde kniete, eine glänzende Schere in der Hand. Später machte sie einen gemächlichen Spaziergang um den Block, ihre Clogs klapperten auf dem Bürgersteig, die roten Haare lösten sich aus einem hastig geflochtenen Zopf.
    »Hallo Julia«, sagte sie, als sie vor unserem Garten ankam. Meine Mutter lächelte sie an, sagte aber ihren Namen nicht. Sie waren ungefähr im selben Alter, aber Sylvia wirkte immer noch irgendwie mädchenhaft und meine Mutter nicht.
    »Sie machen keinen besorgten Eindruck«, sagte meine Mutter.
    »Que sera, sera«, meinte Sylvia. Ihre Worte waren ein langer Seufzer. »Sage ich immer. Es kommt, wie es kommt.«
    Ich mochte Sylvia, wusste aber, dass meine Mutter sie nicht mochte. Sylvia war kühl und zart, und sie roch nach Lotion. Ihre Arme waren schlaksig wie Eukalyptusbäume und oft mit klobigem Türkisschmuck bereift, den sie zu Beginn meiner Klavierstunden abnahm, um enger mit den Tasten kommunizieren zu können. Sie spielte immer barfuß.
    »Oder vielleicht denke ich auch nicht klar«, sagte Sylvia. »Ich bin mitten in einer Reinigung.«
    »Was ist eine Reinigung?«, fragte ich.
    »Fasten«, sagte Sylvia.
    Sie beugte sich zu mir vor, um es zu erklären, und ich hörte meine Mutter die Taschenlampen hinter ihren Rücken schieben. Ich glaube, ihre Angst war ihr plötzlich peinlich.
    »Kein Essen, kein Alkohol, nur Wasser. Drei Tage lang. Deine Mutter hat das sicher auch schon mal gemacht.«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Ich nicht«, sagte sie.
    Ich war mir des Whiskys bewusst, der neben meiner Mutter auf dem Boden schwitzte. Einen Moment lang wurde nichts weiter gesagt.
    »Wie dem auch sei«, sagte Sylvia schon halb im Gehen. »Lass dich davon nicht vom Üben abhalten, Julia. Bis Mittwoch.«
    Die kommenden Nachmittage würde Sylvia damit verbringen, in einem Sonnenhut Rosen zu beschneiden und beiläufig Unkraut zu

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