Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
alt. Aus gesundheitlichen Gründen geht er nach Europa. Auf einer Hand wächst ihm ein Tumor, so groß wie ein Baseball. Seine Tochter, sein einziges Kind, stirbt. Das Leben ist mies; er ist pleite, krank… schließlich stirbt er in Italien. Wir wissen aber, daß er von jedem seiner Bücher eine Ausgabe bei sich hatte, als er seinem letzten großen Kritiker begegnete.
Was also macht die Witwe? Kein Geld… keine Zukunft… kein Stück vom Kuchen…«
»Sie verkauft die Bücher.«
»Genau! Alles, was ihr blieb, war der Ruhm ihres Gatten. Also verkaufte sie seine Sammlung, ein Buch nach dem anderen. Und alle diese Bücher sind wieder aufgetaucht, außer seinem Pickle. Der Pickle. Eine literarische Fundgrube. So fing das Gerücht an. Es heißt, der Pickle wäre nie aufgetaucht, weil er alle diese Notizen über Samuel Johnson, Garrick, Akenside und die sportliche Lady Vane enthält. Jeder Sammler, jeder Forscher, würde sein linkes Ei geben, nur um diese Ausgabe einmal sehen zu dürfen. Bloß, daß die gar nicht existiert. Den Rest der Ente können Sie übrigens aufessen.«
Bloß, daß die doch existiert – in Simon Keyes’ Appartement.’ Neal hatte sie in Händen gehalten. Bücher, die seine Zukunft sichern könnten, sein Glück, seine Freiheit. Und er hatte sie zurück ins Regal gestellt.
16
Das Piccadilly Hotel war genauso schlicht wie sein Name. Weder einfach noch unattraktiv, aber schlicht in dem Sinne, das es wußte, was es war: ein solider Aufenthaltsort, um Geschäfte zu machen, die City zu besichtigen, ins Theater zu gehen, die Sehenswürdigkeiten Londons zu bestaunen. Es bot große Zimmer, breite Betten, gutes Essen und Zimmerservice. Man konnte sich alles, was man wollte, bringen lassen. Im Picadilly Hotel wußte man, daß die Leute ins Hotel gingen, um andere Dinge zu tun als daheim.
Die Lobby war großzügig und stammte aus einer Zeit, in der sich Leute noch in Hotellobbies trafen. An der Bar war es bei warmem Wetter kühl und bei kühlem Wetter angenehm warm. Es war eine dieser Bars, in der Männer zwar nicht ihre Schlipsknoten lockerten, sich aber trotzdem entspannt fühlten, und wo der Barkeeper aufmerksam, aber nicht aufdringlich war.
Wenn man im Piccadilly Hotel reservierte, bekam man immer ein Zimmer. Sie überbuchten das Hotel niemals, im Gegenteil: Sie hielten immer ein paar Zimmer für Notfälle frei. Man konnte eine Nacht oder ein Jahr bleiben. Die Regeln waren immer die gleichen. Man bezahlte seine Rechnung und behielt sein Jackett an.
Neal zog seines aus, kaum daß er sein Zimmer im sechsten Stock betreten hatte. Ein kleiner Ventilator im Fenster kämpfte tapfer gegen die Hitze. Neal streifte seine Schuhe ab und betrachtete das Zimmer. Leuchtend roter Teppich, blaue Tapete, Bilder von barbrüstigen Boxern. Ein männliches Zimmer.
Das Bett war in einer Zeit gebaut worden, in der die Männer ihre Reitstiefel bei jeder Gelegenheit anbehielten. Wie alles in diesem Hotel war es groß und zweckmäßig. Es gab ein kleines Badezimmer, in dem sich eine uralte riesige Wanne, ein passendes Waschbecken, ein kleiner Ablagetisch und mehrere Spiegel befanden. Ein winziges Fenster klebte hoch oben unter der Decke.
Neal gab dem Pagen ein abartig hohes Trinkgeld und fragte ihn noch: »Ihr Name bitte, falls ich irgend etwas brauche?«
Dann hängte er sorgfältig seine Sachen in den Schrank – den unvermeidlichen bügelfreien Polyester-Blazer, den gestreiften Seersucker und seine Sommerhosen. Er legte seine gefalteten Hemden in eine Kommodenschublade, stellte seinen billigen Reisewecker auf den Nachttisch und legte ein paar Taschenbücher daneben. Er räumte seine Waschsachen im Badezimmer auf die Ablage, holte anschließend ein paar Briefumschläge aus seiner Tasche und verteilte sie strategisch im Zimmer. Zum Schluß deponierte er die aktuellen britischen Ausgaben von Playboy und Penthouse im Badezimmer.
Beim Zimmerservice bestellte Neal eine Flasche Scotch und ein wenig Eis dazu. Dann zog er sich ein frisches blaues Hemd an und band einen roten Schlips um. Er knöpfte den obersten Knopf des Hemdes wieder auf und lockerte den Knoten. Als nächstes zündete er eine Zigarette an, paffte daran, bis sie richtig brannte, und legte sie in den Aschenbecher, damit sie den Raum vollstinken konnte.
Er gab dem Zimmerkellner zuviel Trinkgeld, goß ein wenig von dem Scotch ins Waschbecken und mixte sich dann einen Drink. Er setzte sich mit der Kopie der Kleinanzeigen, die Scott Mackensen in die
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