Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
gibt.«
»Ich bin geehrt.«
»Sie lieben Bücher. Das kann ich sehen. Ich hoffe, Sie finden die Zeit, sich die Bände einmal genauer anzusehen, während Sie hier sind.«
Das hoffe ich auch, dachte Neal.
»Leider«, sagte Neal, »muß ich jetzt aber schon wieder los. Ich muß heute noch in mein Hotel einchecken.«
Simon war enttäuscht. »Oh. Ich hatte gehofft, wir könnten uns über Bücher unterhalten. Morgen früh fahre ich in mein Landhaus. Nur für zwei oder drei Tage, bevor ich nach Afrika reise. Sind Sie sicher, daß Sie nicht mitkommen wollen? So eilig können Sie es doch gar nicht haben?«
»Leider doch.«
»Was für ein Pech. Das Landhaus liegt im Yorkshire-Moor. Man kann dort seinen eigenen Herzschlag hören. Ich gebe Ihnen die Adresse, für den Fall, daß Sie es sich anders überlegen.«
»Danke.«
»Aber bitte bleiben Sie wenigstens zum Essen. Wir werden über Bücher sprechen.«
Das Essen bestand aus einem Beefsteak, das zäher als der Hintern eines Jockeys war, zerkochtem Gemüse, matschigen Kartoffeln, Früchten aus der Dose, einem Rotwein, der sich hervorragend zum Säuern von Salaten eignete und einer Unterhaltung, die sich ausschließlich um Bücher drehte. Neal fand das Essen großartig. Das einzige, was er sich gewünscht hätte, wäre die Gesellschaft von Professor Leslie Boskin gewesen.
15
»Seit vielen Jahren reden die Leute vom Pickle, aber ich glaube trotzdem nicht, daß es ihn gibt«, sagte Professor Boskin und wedelte mit seiner Zigarette. Er rauchte viel, wenn er aufgeregt war, und er war immer aufgeregt, wenn es um Smollett ging.
Neal hatte sich aus zwei Gründen für die Columbia University entschieden: Empfehlungen von Freunden und von Professor Leslie Boskin, dem berühmtesten Kenner der englischen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts. Er war aus irgendeiner Stahlstadt in Pennsylvania nach Harvard gekommen und mit 37 bereits eine Autorität. Sein erstes Buch, Der Roman und die neuen Leser, definierte das Feld neu. Er war ein echter Gentleman des achtzehnten Jahrhunderts: Er zahlte seine Rechnungen, gab seine Runden aus und glaubte fest an die Kraft der Freundschaft. Einer seiner Freunde war Ethan Kitteredge, der Boskin an Deck der Haridan von dem Leben und Streben seines neuen Studenten Neal Carey berichtete. Wenig später lud Boskin Neal zu einem chinesischen Essen ein. Jeder Englisch-Student wußte, was das bedeutete: das Angebot, unter Boskins Obhut den Abschluß zu machen. Zwei Jahre Tyrannei, Schikane, Korinthenkackerei und langsame Folter.
Neal war begeistert. Genau das hatte er sich immer gewünscht. Er saß hinter der Peking-Ente und hörte zu. Boskin war in Fahrt. Seine schwarzen Augen glühten.
»Smollett hat jahrelang um Aufmerksamkeit gebettelt. Er hatte einen Minderwertigkeitskomplex wie ein Maultier auf einer Esel-Versammlung. Er war Schotte, er war nicht sonderlich gebildet… damals standen Chirurgen ziemlich weit unten in der gesellschaftlichen Hierarchie. Als sein erster Roman Die Abenteuer des Roderick Randoms erschien, dachte er, nun würde die Londoner Literaturszene ihn endlich akzeptieren.« Boskin machte eine kurze Pause, um etwas Entenfleisch und Pflaumensauce auf seinen Pfannkuchen zu legen. »Aber das taten sie nicht. Johnson, Garrick und all die anderen Jungs ignorierten ihn weiterhin. Daraufhin schreibt er den Pickle und gibt es ihnen so richtig. Tolle Satire. Und dann die Erinnerungen der Lady Vane; die hat er auch noch verwendet, nur so aus Spaß. Stellen Sie sich vor: Das Tagebuch einer hochwohlgeborenen Lady, die es mit jedem treibt; die Leute fragen sich natürlich, woher Smollett all die Details weiß. Der Pickle wird ein Riesenerfolg! Die Leute lieben es! Und die Londoner Society nimmt ihn endlich auf. Johnson, Garrick, alle miteinander.«
Neal sah zu, wie Boskin sich ein großes Stück Pfannkuchen in den Mund schob, schnell kaute und es mit einem Schluck Bier herunterspülte. Boskin schien lieber über Smollett zu reden als zu essen.
Er stellte sein Glas ab und fuhr fort. »Aber plötzlich sind ihm die ganzen Anspielungen im Pickle peinlich, und als er eine zweite Auflage machen soll, streicht er das meiste wieder raus. Aber er selber hat eine Ausgabe – eine einzige Ausgabe, in der er seine Notizen macht: wer wer ist, worin der Witz besteht, die Wahrheit über Lady Vane. War sie seine Geliebte? Sind all die hübschen kleinen Schweinereien wahr?«
Boskin angelte sich mit seinem Stäbchen eine Garnele. »Smollett wird
Weitere Kostenlose Bücher