Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
Entschlossenheit, die man entweder bewundernswert oder nervig findet. Bei knapp achtundzwanzig Grad war es eher letzteres.
Simon trug ein pink gestreiftes Hemd, eine laubgrüne Hose, eine breite Paisley-Krawatte, blaue Polyester-Socken und Schnür-Mokkassins. Er hatte grau-braunes Haar und leuchtend blaue Augen. Seine Nase war ein kleiner Berg.
Er war ein Freund von Kitteredge. Er war mit Ethan und Frau auf Safari gewesen und hatte sich in London niedergelassen. Er fand die zivilisierte Welt ausgesprochen uninteressant und würde deshalb niemals die Story von Allie Chase weitertratschen. Er war Neals Gastgeber in London.
»In einer Woche muß ich weg, aber das sollte reichen. Ich schätze, ich bin sowas wie Ihr Führer. Sie sind ja so eine Art Kopfjäger.«
»Mädchenjäger, genaugenommen.«
Simon lachte. »Oh, ja. Nicht schlecht.«
Er hetzte über den Parkplatz, als wären sie zu spät zum Lunch mit der Queen. Urplötzlich stoppte er vor einem silbernen Sportwagen, einem Cabrio.
»Dies«, verkündete er begeistert, »ist ein Gordon-Keble.«
»Hübscher Wagen«, sagte Neal höflich. Er wußte, daß Autos vier Räder und ein Lenkrad hatten – solange man sie nicht über Nacht bei ihm zu Hause vor der Tür parkte.
»Davon wurden überhaupt nur dreizehn gebaut«, sagte Simon stolz. »Mir gehören drei davon.«
»Das ist ja toll.«
»Eine meiner Schwächen«, flüsterte Simon, als beichte er, auf zwölfjährige Chinesinnen in Nonnentracht abzufahren.
»Und die anderen?«
»Die anderen Wagen?«
»Die anderen Schwächen.«
»Sie werden schon sehen«, sagte Simon ernsthaft.
Simon verstaute Neals Gepäck hinter den Sitzen. Neal ließ sich auf dem Beifahrer sitz nieder; er kam sich vor, als säße er nur ein paar Zentimeter über dem Asphalt. Simon ließ den Motor an. Der kleine Wagen schien teuflische Kräfte zu besitzen. Neal hatte das beängstigende Gefühl, daß das kleine Biest nur auf diesen Augenblick gewartet hatte; es vibrierte begeistert, und Neal vibrierte von den Fußsohlen bis zu den Haarspitzen mit. Der Keble brummte wie ein Wolf am Rande einer Schafherde.
»Tolles Gefühl, was?« fragte Simon begeistert.
»Ja.« Panik.
Simon fuhr, als wüßte er etwas, das Einstein übersehen oder Gott nie so gemeint hatte. Falls es in der Natur tatsächlich irgendwo ein Vakuum gab, witterte er es, und dann brauste er auch schon los, überholte rechts, links, auf der Mittelspur und wenn’s sein mußte, auch zwischen den Spuren. Der Keble reagierte, als stünde er in direktem Kontakt mit dem Hirn seines Herrn und Meisters.
Neal versank so tief wie möglich in seinem Sitz und schloß die Augen, so oft es das gute Benehmen erlaubte.
»Warum nur dreizehn?« schrie er durch den Fahrtwind. Vielleicht würde ein Gespräch ihn von seinem Brechreiz ablenken.
»Nachdem Gordon tot war, hatte Keble kein Interesse mehr daran.«
»Wie ist Gordon gestorben?« Neal haßte sich für diese Frage. Er wußte, die Antwort würde alles nur noch schlimmer machen.
»Wollte einem Huhn ausweichen und ist gegen eine Mauer gefahren. Er wurde drüber geschleudert und landete direkt auf dem Friedhof. Passend, was?«
Simon kreuzte drei Spuren, ohne sich um das entsetzte Hupkonzert zu kümmern, und quetschte sich in eine winzige Lücke. Er beschleunigte in einer Außenkurve, raste einen Hügel herunter und bremste gerade noch rechtzeitig, um einem LKW auszuweichen. Er wechselte auf die Überholspur und drückte das Gaspedal durch.
»Ich hatte selbst drei böse Unfälle!« rief Simon begeistert. »Einen in Madagaskar! Hab Monate im Krankenhaus gelegen. Hab mir alle wichtigen Knochen gebrochen!«
Der Verkehr wurde etwas lichter, und Simon durfte endlich zeigen, was er und der Wagen konnten. Neal betete, daß Simons Kopf nicht zu den wichtigsten Knochen gehört hatte. Blaß und entgeistert klebte Neal im Beifahrersitz. Er hoffte nicht mehr, zu überleben. Er wünschte sich nur noch ein kurzes, gnädiges Ende. Schweißperlen der Angst mischten sich mit jenen, die die Hitze verursachte, und der silberne Dämon raste schneller und schneller auf den Feuertod zu. Neal schrieb im Geiste eine Postkarte an Joe Graham: »Lieber Dad, mir geht es gut. Ich wünschte, du wärst hier.«
14
Simons Wohnung lag im ersten Stock eines Stadthauses in der Regent’s Park Road, einer ruhigen Straße in der Nähe des Londoner Zoos. Ausgezeichnete Gegend für ein sicheres Haus. Simon gehörte das ganze Haus, aber das Erdgeschoß hatte er an ein
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