Ein kalter Strom
überflog. Mit Gunther und Manfred an den Hacken hatte er nur eine einzige Möglichkeit, die Nachrichten zu verfolgen und herauszufinden, ob er gesehen und seine Beschreibung herausgegeben worden war, indem er die Zeitungen online las. Denn als seinen Angestellten klar geworden war, dass er seine Zeit nicht mit Pornoseiten im Internet verbrachte, verloren sie jegliches Interesse.
Aber trotz dieses Zugangs zu den Nachrichten machte er sich noch immer Sorgen. Manchmal kamen solche Geschichten eben nicht in die Internetausgaben der Zeitungen. Manchmal wurde nur eine gekürzte Version des Artikels im Netz gebracht. Und selbst wenn er alles auffing, was veröffentlicht wurde, hieß das noch nicht, dass sie nicht nach ihm suchten, sondern nur, dass sie es nicht veröffentlicht hatten. Vielleicht suchten sie schon im ganzen Land mit Steckbrief nach ihm. Zumindest mussten sie wissen, was für einen Wagen er fuhr. Er fragte sich, ob er seinen schwarzen Golf sofort verkaufen und ihn gegen eine andere Marke eintauschen sollte. Aber falls sie nach einem schwarzen Golf mit Hamburger Nummer fahndeten, würde er nur auf sich aufmerksam machen, wenn er versuchte, ihn abzustoßen.
Er war in einem schrecklichen Zustand und konnte nicht länger als eine Stunde am Stück schlafen. Das Essen blieb ihm im Halse stecken. Der Vorfall in Bremen hatte ihn erstarren lassen, nicht zuletzt weil er den Gedanken, er könnte gefasst werden, niemals ernstlich erwogen hatte. Er war klüger gewesen als diese cleveren Kerle mit ihren Titeln und Diplomen, er hatte ihnen gezeigt, dass er Herr der Lage war. Und er konnte kaum glauben, dass er so nahe daran gewesen war, geschnappt zu werden.
Wo er doch alles bis ins letzte Detail vorausgeplant hatte. Schließlich würde seine Botschaft verloren gehen, wenn seine Aktion ein vorzeitiges Ende fände, und alles wäre umsonst gewesen. Dieses dumme Weib hätte fast alles kaputtgemacht, weil sie ihrem Freund nicht gesagt hatte, er solle wegbleiben. Blöde Ziege. Wahrscheinlich hatte sie sich mit der Tatsache großtun wollen, dass sich in ihrem Alter noch ein Mann für sie interessierte. Die dämliche Kuh hätte fast alles ruiniert, und jetzt hatte er keine Ahnung, ob er verdächtigt wurde oder nicht.
In guten Augenblicken beruhigte er sich, der Freund könne der Polizei nichts gesagt haben, was sie zu ihm führen würde. Er war sicher, dass er nicht gesehen worden war, und es musste überall in Deutschland Hunderttausende dieser Autos geben, selbst wenn der Freund sich erinnerte, was für ein Wagen in der Einfahrt der Schlampe gestanden hatte.
Aber in schlimmen Momenten lag er in seiner Koje, und scharf riechender Angstschweiß brach ihm am ganzen Körper aus. Vor dem Gefängnis hatte er keine Angst. Nichts, was dort mit ihm passieren würde, konnte schlimmer sein als das, was er schon erlebt hatte.
Angst hatte er davor, was das Versagen ihm über sein Inneres verraten würde.
Um also die Panik, die ihn umtrieb, zu bekämpfen, erlaubte er sich nicht, das Hochwasser als Vorwand zu nehmen. Er hatte wie üblich per E-Mail eine Verabredung mit Dr. Marie-Thérèse Calvet getroffen, hatte ihr allerhand Schmeichelhaftes mitgeteilt und unterstrichen, wie wichtig sie für das Ansehen seiner Internet-Zeitschrift sei.
Ihre Arbeit über die manipulative Beeinflussung des Gedächtnisses durch Suggestion in Tiefenhypnose sucht in Europa ihresgleichen. Ihre Studie von 1999 zur Veränderung der Erinnerung an frühe sexuelle Erfahrungen war bahnbrechend. Ich bin sehr interessiert daran, etwas über Ihre Folgestudien zu hören. Es könnte ein wunderbarer Spezialbericht für unsere Startausgabe werden.
Nein, er hatte nicht viel Überzeugungskraft gebraucht, damit sie dem Interview zustimmte. Wie alle anderen war auch sie vollkommen narzisstisch, was er als Waffe gegen sie einsetzen konnte.
Aber jetzt musste er seinen Plan für den heutigen Abend erfolgreich durchführen. Dr. Marie-Thérèse Calvet hatte ihn in einem Restaurant treffen wollen, vielleicht weil sie davor zurückschreckte, einem fremden Mann allein den Zutritt in die Privatsphäre ihres Hauses zu gestatten, oder vielleicht einfach nur, so seine spöttische Vermutung, weil sie sich von ihm ein Essen bezahlen lassen wollte. Mit der Vereinbarung, das Interview in ihrem Büro in der Universität zu führen, hatten sie einen Kompromiss gefunden. Dies hatte er durch den Hinweis erreicht, dass sie vielleicht ihre Forschungsergebnisse zur Hand haben wolle. Es war
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