Ein kalter Strom
armseliger Schwächling von einem Mann.
Er starrte auf die Leiche hinab und verfluchte sich selbst als verdammten Dummkopf. Dann bemerkte er den Hauch einer Bewegung an ihrer Kehle. War das ein Puls? Er berührte sie zögernd. Seine Finger fühlten das schwache Pochen des Blutes. Alles würde in Ordnung kommen.
Hastig griff er in seine Tasche und traf die letzten Vorbereitungen. Nachdem er die dritte Flasche durch den Trichter in ihre Kehle geschüttet hatte, überprüfte er den Puls. Keine Frage. Sie hatte den Preis gezahlt.
Er nahm das Rasiermesser und betrachtete sein Operationsfeld. Dichtes, dunkles Haar, durch das sich hier und da kräftige, graue Fäden zogen. Vor Margarethe Schilling hatte er es noch nie bei einer Frau getan, und die Schnitte hatten etwas mehr Überlegung erfordert. Aber jetzt war seine Hand schon geübt. Den ersten Einschnitt machte er oben, wo die blasse Haut ihres flachen Bauches unter dem Haar verschwand. Dann führte er zwei weitere Schnitte an den Seiten des Venushügels entlang. Behutsam schob er die Klinge unter die Haut und zog diese sanft von dem darunter liegenden Gewebe ab. Jedes Mal ging es leichter, und seine Bewegungen waren sicherer. Wo ihre Haut weiter unten auf die Schamlippen traf, machte er einen geraden Querschnitt und hob den Skalp mit der Klinge des Rasiermessers hoch. Zurück blieb eine trapezförmige Wunde, aus der das Blut rann. Er schraubte das mitgebrachte Glas auf, ließ seine Trophäe in das Formalin gleiten und betrachtete zufrieden, wie der rote Wirbel sich rosa färbte, als das Blut sich verteilte. Er lächelte glückselig und schraubte dann das Glas zu. Daraufhin begann er aufzuräumen. Ganz zuletzt nahm er ein Taschentuch und rieb alles ab, was er berührt hatte, auch ihre Haut. Am Schluss umwickelte er seine Finger mit einem Taschentuch, zog einen dünnen Hefter aus seiner Tasche, ging zum Aktenschrank hinüber und schob ihn unter dem Buchstaben C an den richtigen Platz. Sein Fallbericht zu dem Weibsstück war jetzt sicher an Ort und Stelle.
Es war geschafft. Und er hatte es besser gemacht als jemals zuvor. Jetzt war er der Herr und Meister, keine Frage.
Fallbericht
Name: Marie-Thérèse Calvet
Sitzung Nummer: 1
Bemerkungen: Die Patientin zeigt einen Mangel an Respekt für andere Menschen. Ihre Art, sich wichtig zu nehmen, macht sie blind für die Bedürfnisse und Rechte ihrer Mitmenschen. Sie sieht sich als das Zentrum ihres eigenen Universums, vor dem sich alle anderen beugen sollen. Die Existenz anderer Menschen dient lediglich der Erfüllung ihrer eigenen Wünsche.
Dass sie auf ihrem ausgewählten Wissensgebiet diese Position erreicht hat, ist der rücksichtslosen Verfolgung ihrer eigenen Interessen zum Schaden anderer zuzuschreiben. Sie versucht, ihre Weiblichkeit zu verleugnen, indem sie ihrer Arbeit mit einer aggressiv männlichen Haltung nachgeht. Sie gibt nur ungern zu, dass andere zu ihrem Werk beigetragen haben, und verlangt immer nur Anerkennung für sich selbst. Gefühl oder Einfühlungsvermögen sind ihr fremd.
Therapeutische Maßnahmen: Behandlung zwecks Zustandsveränderung eingeleitet.
Kapitel 25
D arko Krasic fand, er hätte eigentlich Besseres zu tun, als vor einem Wohnblock zu sitzen und auf eine Frau zu warten. Andererseits war die Zeit gut angelegt, die er brauchte, um seinen Chef daran zu hindern, dass er sich blamierte. Es war schlimm genug gewesen, dass Tadzio unbedingt direkt hatte vor Ort sein wollen. Man sah ja, was dabei herauskam. Krasic hatte einen Mord inszenieren
und
noch dazu ein Kind unterbringen müssen und wusste kaum, welches von beiden schwieriger zu bewerkstelligen war.
Dass man ein bisschen von der Action des eigenen Geschäfts mitkriegen wollte, war ja eigentlich verständlich, aber irgendwelche phantastischen Halluzinationen zu haben, das brachte einen in Verruf, besonders in ihrer Branche. Ein bisschen Größenwahn, das ging noch, und eine gewisse Neigung zur Paranoia gehörte in den Kreisen, in denen Krasic und sein Chef ihr Geld verdienten, fast dazu. Aber die Züge der Toten im Gesicht einer Fremden wiederzufinden, das fiel definitiv in die Kategorie durchgeknallt. Wenn Krasic das nicht gleich im Keim erstickte, würden sie demnächst an spiritistischen Sitzungen teilnehmen. Lächerlich machen würden sie sich. Und das konnte er so wenig brauchen wie ein Loch im Kopf, jetzt, wo die verrückten Albaner Boden-Luft–Raketen wollten und die chinesischen Schlangenkopfbanden wegen der
Weitere Kostenlose Bücher